Das Problem mit der Paywall

Je nach Sichtweise ermöglicht das Internet freien Zugang zu journalistischen Texten, Musik und Filmen – oder es trägt zur Ausbeutung von Künstlern und Medienschaffenden bei, weil der Gratiskonsum sie um ihre Einkünfte prellt. Deutlich zeigt sich diese Bruchstelle am Wirken des Twitterers @KueddeR. Der Blogger Ronnie Grob schrieb in der Medienwoche:

«Nacht für Nacht macht es sich @KueddeR zur Aufgabe, als kostenpflichtig deklarierte Artikel aus allen grösseren Schweizer Zeitungen über Twitter frei zu verlinken. Damit tut er zwar nichts Verbotenes, zeigt aber die Grenzen der Bemühungen auf, die Leser online zum Zahlen zu bringen. Die Verlage stecken in einem Dilemma.»

Internet-Nutzer äussern sich fast unisono begeistert. Politikwissenschafter Claude Longchamp schrieb: «@KueddeR betreibt Agenda Building wie kaum ein anderer und macht damit genau das, was Twitter auszeichnet.» Der internet-affine Politikberater Mark Balsiger: «Sicher ist, dass @KueddeR für zahllose Social-Media-Nutzer einen wertvollen Service leistet.»

Die Beweggründe des Twitterers, täglich kostenpflichtige Links in grosser Menge zu veröffentlichen, sind ebensowenig bekannt wie die Person, die hinter dem Twitterkonto steckt. Sicher ist: Er betreibt einen enormen Aufwand. Praktisch rund um die Uhr stellt er Links ins Netz. @KueddeR stellt sich auf den Standpunkt, seine Aktivitäten seien im Sinn der Verlage: «Das Verzwitschern ist ein Feature der Zeitungen», teilt er via Twitter mit.

Mit seinem Service reizt der Twitterer @KueddeR die Möglichkeit des «Empfehlens» von Artikeln bis zum Gehtnichtmehr aus. So dass Ronnie Grob von einer «Pseudokostenpflicht» spricht und Journalistin Michèle Binswanger vom «Problem mit der Paywall». Grob und Binswanger orten das Problem also bei den Verlagen, nicht beim Twitterkonto @KueddeR. So oder so: Wer kostenpflichtige Inhalte en masse gratis verteilt, trägt dazu bei, dass den Verlagen Einnahmen entgehen. Das vergessen Internet-Nutzer, die @KueddeRs «wertvollen Service» bejubeln (oder falls sie es nicht vergessen, ignorieren sie es bewusst, verschweigen es, denken nicht daran oder blenden es aus). Natürlich ist es praktisch, wenn man journalistische Texte gratis lesen kann. Aber auch für die Medienproduktion gilt: «There ain’t no such thing as a free lunch.» Die Frage, wie man Journalismus trotz Gratiskonsum finanzieren kann, bleibt ungelöst.

Über agossweiler

Journalist
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4 Antworten zu Das Problem mit der Paywall

  1. Das ist ja gar nicht unrichtig analysiert. Nur müsste es heissen „Wer kostenpflichtige Inhalte en masse gratis anbietet, trägt dazu bei, dass den Verlagen Einnahmen entgehen“ statt „Wer kostenpflichtige Inhalte en masse gratis verteilt, trägt dazu bei, dass den Verlagen Einnahmen entgehen“. Wer Features anbietet, muss sich nicht wundern, wenn sie auch genutzt werden. Und Links, die existieren und zielführend sind, werden halt eben auch gesetzt.

    Ich mag guten Journalismus und ganz allgemein herausragende Inhalte. Und ich bin auch bereit, in einer annehmbaren Form zu bezahlen. Was ich schon längst mache, per Flattr, mit Abos, mit Beachtung von Werbung oder einer anderen Art von Aufmerksamkeit. Aber ganz grundsätzlich: Es ist doch nicht die Aufgabe der Kunden, das Problem zu lösen, das Verlage mit ihren Bezahlinhalten haben.

    Und: Wieso haben die Verlage (Ausnahme: die taz) beispielsweise nie Flattr eingebaut? Wieso jammern sie seit Jahren, statt etwas hinzustellen, das funktioniert? Ich mag es nicht mehr hören.

  2. agossweiler schreibt:

    Was sollen die Verlage denn «hinstellen»? Niemand kann diese Frage beantworten. Mit «Aufmerksamkeit» kann ich meine Miete nicht bezahlen. Und Flattr ist keine taugliche Lösung. Journalisten wollen wie alle Berufsleute einen fairen Lohn, keine demütigenden Almosen. Und bei der taz funktioniert Flattr miserabel: Im Juli 2011 nahm die taz mit Flattr bekanntlich nur 1145 Euro ein. http://blogs.taz.de/hausblog/2011/08/25/taz_zahl_ich_und_flattr_im_juli/

    «Beachtung von Werbung» ist auch keine gute Lösung. Die flackernde und flimmernde Werbung im Internet ist im höchsten Grad nervtötend. Ich mache deshalb, was ich kann, um sie zu ignorieren.

    Klar müssen die Verlage eine Lösung finden, und das Beispiel von @KueddeR zeigt, dass die Verlage noch nicht am Ziel sind. Die Medienkonsumenten haben aber auch eine gewisse Verantwortung – man kann Features nutzen, und man kann sie missbrauchen.

  3. Ich glaube, es spielen so viele Faktoren mit, dass es für die Verlage schwierig ist, das „richtige“ zu tun. Dass es eben den Lunch trotzdem for free gibt, zeigen Blätter wie 20min oder BlaA. An das ist sich der Konsument gewöhnt. Im Internet kann man heute so viel gratis beziehen, dass es zur Gewohnheit, ja schon zur Selbstverständlichkeit, geworden ist, nichts bezahlen zu müssen.

    Ich bin auch der Meinung, dass mit Jammern nichts gewonnen werden kann und dass es alleine an den Verlagen liegt, ein funktionierendes Konzept zu erarbeiten. Es kann doch nicht sein, dass ich mir schon jetzt, als Journi-Student, Gedanken mache, was meine zweite Einnahmequelle sein könnte, wenn ich dann mal arbeite.

    Ok, es sind neue Formen am entstehen, wie Paywall oder Flatrate. Doch müssen wir ein System finden, dass uns aus diesem Teufelskreis der Gratis-Kultur herausholt. Nämlich aus dieser Quantität vor Qualität-Ideologie. Unser Medium sollte wieder an Wert gewinnen. Ein Teil der Demokratie werden. Die Medien sind wichtig und wir brauchen sie. Ich glaube, dieses Bild muss sich zuerst in den Köpfen der Leute ändern. Und das schaffen nur die Verlage selbst.

  4. Pingback: Der NewsMän | SoMePolis – Social Media und Politik

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