Ich würde nicht behaupten, der Gemütszustand der Empörung sei mir fremd. Aber ich bin schon der Meinung, die Welt würde eher besser als schlechter, wenn sich die Menschen weniger über Artgenossen aufregen würden, die ihnen aus irgendwelchen Gründen nicht in den Kram passen. Paul Valéry hat treffend formuliert, warum Empörung über andere Menschen eigentlich ziemlich sinnlos ist und wie man sich davon befreien kann:
«Dass ein Mensch ohne äusseren Zwang den besten Teil seiner Zeit und seiner Kräfte dafür hingeben kann, auf die Vorstellungen der Dummheit oder der Schlechtigkeit der anderen zu reagieren, die doch schliesslich nur ein kleiner Teil der Objekte sind, die auf uns einwirken – das will mir nicht in den Kopf. Mein Bestreben geht im Gegenteil dahin, diese andern entweder ausser Betracht zu lassen, oder sie als merkwürdige Dinge oder Tiere zu sehen, die ihrer Lebenslinie folgen, – mir Freiheit zu verschaffen von meinen Reaktionen, Abscheu, Empörung, Verachtung.»
Paul Valéry: «Ich grase meine Gehirnwiese ab», Eichborn 2011