Zwei Glaubenssätze der Internet-Apostel

Die Debatte um die Gründe des Zusammenbruchs der Frankfurter Rundschau geht weiter und weiter. Und sie zeigt fast lehrbuchmässig, mit welchen Glaubenssätzen internet-religiös gesinnte Blogger operieren. Zum Beispiel mit den folgenden:

Micropayments sind die Zukunft der Medienlandschaft
Blogger Richard Gutjahr hat ein ellenlanges Traktat verfasst, in dem er unter anderem bestreitet, dass es eine «Gratiskultur» gibt und dann auch noch die Kritiker derselben der «Publikumsbeschimpfung» bezichtigt. Natürlich ist er auch gegen Paywalls. Das kümmerliche Fazit des überlangen Texts: Herr Gutjahr möchte lieber nur zwei, drei Artikel kaufen statt einer ganzen Zeitung.

Diese Forderung hat man in der letzten Zeit dutzendfach gehört. Ich staune ab der militant vorgetragenen intellektuellen Anspruchslosigkeit, die sich in solchen Pamphleten zeigt. Der Wert einer Zeitung liegt doch nicht in zwei, drei Texten, sondern in mehreren Bünden, die ich zwar nicht komplett durchlese, aber die mir die Chance geben, Artikel und Themen zu entdecken, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass sie mich interessieren könnten. Gutjahrs groteske Wortschöpfung «Zwangsbündelung» offenbart sein Unverständnis für die grossartige Chance der geistigen Horizonterweiterung, die eine Tageszeitung bietet. Deshalb sind Micropayments nicht die Zukunft der Tageszeitung, sondern, etwas plakativ ausgedrückt, der geradlinige Weg in die Verblödung: Ich kaufe nur noch das, was ich bereits kenne, und der ganze Rest interessiert mich nicht.

Jede Firma und jeder Blogger wird zum Medienunternehmen
Das oft gehörte Gejubel von der Demokratisierung der Medienproduktion, die das Internet angeblich ermöglicht, erfährt eine Steigerung ins Absurde im Blog 120 Sekunden. Der Blogger Martin Giesler stellt die Pleite der Frankfurter Rundschau der neu gestalteten Homepage von Coca Cola entgegen: «Weg von einer reinen Unternehmens-Website, hin zu einer Art Infotainment-Portal. (…) Die Palette der Beiträge reicht von den Themen Wirtschaft, Gesundheit, Geschichte, Sport, Umwelt, bis zu Innovation und – natürlich – auch der Marke selbst.»

Das Fazit des Bloggers: «Während traditionsreiche Unternehmen wie die Frankfurter Rundschau in die Knie gehen, werden Global Player selbst zu Medienhäusern.» Stellt sich nur die Frage, was die Aufgabe eines Medienhauses ist und wie man die PR-Offensive von Coca-Cola bewerten soll. Für den Blogger ist diese Frage offenbar unwichtig: «Wer sagt denn, dass die Nutzer wirklich eine Frankfurter Rundschau lesen wollen oder ARD, ZDF, RTL oder sonst irgendwas einschalten wollen? Im Zweifelsfall gehen sie dahin, wo es spannend ist und wo ihnen gute Inhalte geliefert werden. Das kann dann bei Red Bull auf einer Homepage sein, beim Youtube-Kanal von Nike oder in einem Artikel von Coca-Cola. Die Grenzen sind fließend und die Konsumenten immer aufgeklärter. Natürlich ist eine Reportage bei Coca Cola kein objektiver Journalismus – aber hey, fragt sich der Konsument, wo gibt es den denn noch?» So flott ignoriert heute ein internet-euphorischer Blogger die Unterschiede zwischen Firmenpropaganda und unabhängigem Journalismus. Hauptsache, die Konsumenten werden mit Brot (oder Coca-Cola) und Spielen gefüttert. Kritisches Hinterfragen von Werbebotschaften ist unnötig und veraltet in dieser Denkweise. Objektiver Journalismus wird kurzerhand zu etwas nicht Existierendem erklärt. Grenzen zwischen interessengesteuerter Werbung und der kritischen Suche nach Erkenntnissen vermischt Giesler mit flapsigen Sätzen: «Warum sollten die Leser Adidas weniger vertrauen als der Financial Times Deutschland? Die sind doch im Zweifelsfall beide interessengesteuert.»

Martin Giesler und Richard Gutjahr arbeiten anscheinend als Journalisten. Dass Leute mit einschlägiger Berufserfahrung bereit sind, zentrale ethische Grundsätze des Journalismus mir nichts, dir nichts über Bord zu werfen, erstaunt mich über alle Massen.

Über agossweiler

Journalist
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32 Antworten zu Zwei Glaubenssätze der Internet-Apostel

  1. patrix schreibt:

    Was wäre Deiner Meinung nach zu tun, um die Zukunft einer Zeitung sicherzustellen?

    • agossweiler schreibt:

      Wenn Zeitungen sich nicht mehr mit Inseraten und Abonnements finanzieren lassen, sollte man eine Gebühr à la Radio/TV ins Auge fassen. Eine Zeitungsgebühr wäre sogar wichtiger und besser begründbar als eine Radio-/TV-Gebühr. Denn Zeitung lesen ist Bürgerpflicht.

      • patrix schreibt:

        Du bist also der Meinung, dass die Allgemeinheit dafür zu zahlen hat, damit das aus Deiner Sicht einzig wahre Zeitungsmodell überleben kann? Strukturerhaltung hat noch mittelfristig noch nie funktioniert, das gilt aller Voraussicht nach auch für diesen Fall.

  2. agossweiler schreibt:

    Natürlich muss die Allgemeinheit dafür zahlen, wer sonst? Die Allgemeinheit profitiert vom Medienangebot, und die Allgemeinheit, also jede Bürgerin und jeder Bürger, würde darunter leiden, wenn die Möglichkeit entfiele, sich mit Zeitungen zu informieren. Hier geht es nicht um die Erhaltung veralteter, sinnlos gewordener Strukturen, sondern um den Fortbestand der Demokratie. Es gibt keine Alternative zu Zeitungen. Das ist eine begründbare Tatsache, nicht nur meine Sicht.

    • patrix schreibt:

      Aus (nicht nur) meiner Sicht ist es Strukturerhaltung. Wollen wir wirklich eine Presse, die am staatlichen Geldtopf hängt? Wie wollen wir da Unabhängigkeit sicherstellen, der Weg zu Verhältnissen wie in Ungarn oder Russland ist dann nicht mehr weit. Und das Angebot im öffentlich finanzierten Radio und TV ist ja nun wirklich nicht auf einem Qualitätsniveau welches mich für eine analoge Lösung für Zeitungen positiv stimmen würde.

      • agossweiler schreibt:

        Strukturen, von denen das Funktionieren unserer Demokratie abhängt, muss man zwingend erhalten. Die Presse würde nicht am «staatlichen Geldtopf» hängen, sondern direkt von den Bürgerinnen und Bürgern finanziert, analog Radio und TV. Mit Ungarn oder Russland hat das gar nichts zu tun. Der Staat schreibt bei uns nicht vor, was Radio und TV senden sollen. Das Angebot von SRF, RTS und RSI ist qualitativ hochstehend (es wäre für Sie schwierig, das Gegenteil zu beweisen) – das ist ein Argument mehr, um die Presse analog zu finanzieren.

  3. patrix schreibt:

    Also ich denke dass wir auf die ganzen SRF-Sendungen mit Kilchsberger und Epinay (um nur zwei Beispiele zu nennen) problemlos verzichten könnten, ohne dass dadurch die Qualität sinkt.

    Und wenn wir schon von Beweisen reden: Wo ist der Beweis, dass Zeitungen im klassischen Sinn für das Funktionieren einer Demokratie zwingend notwendig sind? Meinungsfreiheit ja (klar), Pressefreiheit im Sinne von „keine Zensur“ ja, journalistische Arbeit ja, aber Zeitungen?

    • agossweiler schreibt:

      SRF hat mehr zu bieten als Kilchsperger und Epiney, und RTS hat noch viel mehr zu bieten. Dass die Demokratie nicht geht ohne Zeitungen, liegt auf der Hand. Abstimmen und wählen kann man nur, wenn man gut informiert ist. Ohne Zeitung ist man nicht genügend informiert, man kann es gar nicht sein. Twitter und Blogs genügen nicht für die politische Meinungsbildung.

      • patrix schreibt:

        Das ist jetzt ein ziemlich plakatives Statement, aber nicht unbedingt ein Beweis. Warum kann ohne Zeitung keine gute Information möglich sein? Meines Wissens sind demokratische Strukturen älter als Zeitungen.

  4. patrix schreibt:

    Ha, die SP macht mir das jetzt aber wirklich sehr einfach (http://1815.ch/artikel_84058.html):

    „Von den Fördermillionen sollen aber nicht alle bedingungslos profitieren: „Die Förderkasse schliesst mit privaten Medien einen Leistungsauftrag ab wie es heute das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) mit den Lokalradios und den privaten Regional-Fernsehsendern macht, die am Gebührensplitting partizipieren wollen“, erklärte Fehr.“

    Und schon sind wir bei der staatlich finanzierten Presse, bei der man sich an gewisse Regeln halten muss um an Gelder ranzukommen. Da diese Regeln dann teilweise nur von den Grossen umgesetzt werden können und Newcomer von vornherein keine Chance haben, wird dadurch der Konzentrationsprozess im Zeitungs-Bereich eher noch gefördert als gebremst.

    Auf die übrigen Schwachstellen in der Fehr’schen Argumentation will ich jetzt gar nicht eingehen.

    • agossweiler schreibt:

      Dummes Zeug. Nicht der Staat finanziert die Medien, sondern die Konsumenten. Die aufzustellenden Regeln betreffen den Gehalt an politischen Informationen und die Anstellungsbedingungen der Journalisten, kurz: die Qualität des Angebots, nicht die politische Linie. Wer daraus eine «staatlich finanzierte Presse» und Verhältnisse wie in Russland konstruiert, argumentiert unsachlich und zynisch. Es stimmt auch nicht, dass Newcomer keine Chance haben. Das Gegenteil ist der Fall: Heut gibt es im Zeitungsbereich keine Newcomer, weil die Finanzierung neuer Medienprodukte unmöglich ist. Ein Gebührenmodell kann genau diese Misere verbessern. Somit wird der Konzentrationsprozess gebremst, nicht gefördert. Wenn man den Konzentrationsprozess fördern will, muss man so weitermachen wie bisher.

  5. patrix schreibt:

    Dann lassen wir doch die Konsumenten die Medien auch weiterhin finanzieren, indem sie die Zeitungen und News-Sites konsumieren (und bezahlen) die es ihnen wert sind.

    Mit der Definition von Kriterien heischt sich wer auch immer an, zwischen „guten“ und „schlechten“ Medien zu unterscheiden. Kurzfassung: Das geht geht, also werden am Schluss Aeusserlichkeiten wie Weiterbildungsquoten, Anstellungsbedingungen (dazu gibt es ein Arbeitsrecht) und ähnliches gemessen. Das hat mit Qualitäts-Journalismus aber nur am Rande zu tun.

    Mir fehlt übrigens nach wie vor eine Begründung für die These, dass ohne Zeitung keine umfassende Information möglich ist.

    • agossweiler schreibt:

      Es zeigt sich eben, dass die Finanzierung der Zeitungen immer schwieriger wird. Daraus zu schliessen, die politische Information sei «den Konsumenten nichts mehr wert», greift zu kurz. Das Thema ist komplexer.

      Anstellungsbedingungen und Weiterbildung sind sicher keine Äusserlichkeiten, sondern wichtig für die journalistische Qualität. Das Arbeitsrecht regelt die Anstellungsbedingungen nicht abschliessend, deshalb braucht es weitere Instrumente wie einen GAV, der im Journalismus derzeit bekanntlich nicht von allen Verlagen anerkannt wird. Unter miserablen Anstellungsbedingungen können Journalisten keine qualitativ hochstehende Arbeit leisten.

      Die Zeitung ist unerlässlich für die politische Information – ganz einfach darum, weil die darin enthaltenen Informationen, Kommentare, Analysen, Interviews, Hintergrundberichte usw. in der notwendigen Dichte und Qualität nur in der Zeitung zu finden sind und nirgendwo sonst.

  6. patrix schreibt:

    Wenn ich mir das so überlege, könnten Google News und Social Media im Verbund mit Pay-per-Read-Angeboten von Zeitungen sogar zur Meinungsbildung und -vielfalt beitragen:

    Der typische Zeitungsleser liest genau eine Tageszeitung, am Beispiel Zürich wären das höchstwahrscheinlich der Tagi oder die NZZ (Gratisblätter zählen definitiv nicht). Bei den üblichen Alltagsereignissen ist die Stossrichtung der Artikel in den beiden Zeitungen von vornherein absehbar. Nehmen wir mal die kürzlichen Abbau von 40 Mitarbeitern bei Sunrise:
    * Im Tagi wird das Schwergewicht des Artikels (nach einem kurzen Exkurs über die spezielle Telekom-Marktsituation in der Schweiz) auf dem Schicksal der 40 abgebauten Mitarbeitern, dem Sozialplan und den trüben Aussichten am Stellenmarkt liegen.
    * In der NZZ werden die schwierigen Marktbedingungen, die Leidensgeschichte von Sunrise und die Optionen des Unternehmens in den nächsten 2-3 Jahren thematisiert.
    In beiden Fällen fehlt mir beim Lesen nur eines Artikels ein wesentliches Puzzleteil, um die Gesamtsituation zu verstehen und mir eine eigene Meinung bilden zu können.

    Wenn ich dasselbe Thema nun über Aggregatoren o.ä. angehe, habe ich die Möglichkeit, mir verschiedene Presse-Stimmen zu Gemüte zu führen. Momentan geht das dank der viel-zitierten „Gratis“-Kultur relativ einfach, oft fehlen aber einfach die Möglichkeiten, für einzelne Artikel einen fairen Preis zu zahlen. Es wäre wohl verursachergerechter wenn diejenigen für sowas bezahlen würden welche das Angebot auch wirklich nutzen. Die anderen haben schlussendlich auch nichts vom breiteren Meinungsbildungsprozess.

    • agossweiler schreibt:

      Pay-per-Read ist eine schlechte Idee. Gut informiert ist man nur, wenn man die ganze Zeitung hat (das schrieb ich bereits oben im Artikel).
      Du vermischst Dinge, die nicht zusammen gehören. Nicht alle Artikel haben eine bestimmte politische Stossrichtung. Im tagesaktuellen Journalismus gilt die Regel, dass man Bericht und Kommentar auseinander hält: die subjektive Meinung des Autors soll im Kommentar sichtbar sein, aber nicht im Bericht. Der Bericht ist für die Meinungsbildung viel wichtiger als der Kommentar. Für die Meinungsbildung brauche ich Fakten. Die Meinung kann ich mir dann selber bilden, aufgrund der Fakten, nicht wegen des Kommentars.
      Du übertreibst auch die Unterschiede zwischen TA und NZZ. Es ist keineswegs so, dass sich der TA nur für die Mitarbeiter interessiert und die Wirtschaftslage ignorieren würde, er ist kein Gewerkschaftsblatt.
      «Aggregatoren» haben den grossen Nachteil, dass sie parasitäres Verhalten fördern, d.h. die Leser können sich an der Arbeit der Journalisten gütlich tun, ohne dafür zu zahlen. Es braucht wenig Fantasie, um zu erkennen, dass dieses Modell keine Zukunft hat, denn die Leute, die es benützen, tragen aktiv zur wirtschaftlichen Misere der Zeitungen bei. Dazu kommt: Die Einnahmen aus dem Verkauf einzelner Artikel würden niemals genügen, um eine Zeitung zu finanzieren. Auch dieses Modell ist deshalb nicht nachhaltig. Es bleibt dabei: Man muss sich ein Zeitungsabonnement gönnen. Zeitunglesen ist Bürgerpflicht. Nur oberflächliche Leute geben sich mit einzelnen Artikeln zufrieden.

      • patrix schreibt:

        Nochmals: Der typische Zeitungsleser gönnt sich heute maximal eine Tageszeitung. Mit Pay-per-View könnte er Artikel aus anderen Zeitungen dazunehmen. Was soll daran schlecht sein?

        Und Deine Sicht auf die Dinge in Ehren, aber vergleiche mal die Wirtschafts- und Inland-Berichtserstattung in Tagi und NZZ: Der Anlass und der Titel mag derselbe sein, der Rest des Artikels (gottseidank) nicht. Unterschiedliche Schwergewichte müssen nichts mit Meinungen des Autors zu tun haben, oft aber mit der grundsätzlichen Ausrichtung des Blattes.

  7. agossweiler schreibt:

    Was an Pay-per-View schlecht ist, habe ich bereits erklärt: rechnet sich nicht für den Verlag, nützt dem Leser zuwenig. Das Gestürm um Micropayments geht doch von Leuten aus, die zu geizig sind, um ein Abonnement zu kaufen. Das soll vermutlich ein Vorwand sein, um ohne Abo zu leben: Wir wollen ja schon zahlen, aber wir wollen kein Abo kaufen. In der Praxis wird das nicht funktionieren. Denn bevor man einen Artikel gelesen hat, weiss man gar nicht, ob er einem gefällt. Und das heutige System mit dem massenhaften «Empfehlungen» würde in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus, wenn die «empfohlenen» Artikel zahlungspflichtig wären.

    Natürlich gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Titeln. Wem eine Zeitung nicht genügt, kann ja zwei Zeitungen abonnieren.

  8. patrix schreibt:

    Pay-Per-Read kann sich sehr wohl rechnen:
    – CHF 1 pro Artikel
    – tägliches Kostendach beim Kioskpreis, beim Überschreiten des täglichen Kostendachs wird die ganze Zeitung des Tages freigeschaltet
    – jährliches Kostendach beim Abo-Preis, ebenfalls mit automatischer Umwandlung in ein „normales“ Jahresabo

    • agossweiler schreibt:

      Mein Vorschlag für rentables Pay-per-Read:
      – zB Tages-Anzeiger: CHF 289.– pro Artikel (= Abo-Preis für 1 Jahr E-Paper)
      – jährliches Kostendach CHF 289.–, d.h. jeder weitere Artikel ist gratis
      – der Verlag baut einen Mechanismus ein, der das Raubkopieren à la @KueddeR verunmöglicht

      • patrix schreibt:

        Wer am Kunden vorbeiproduziert, wird verhungern. Das gilt auch für Zeitungen. Und bevor Du jetzt wieder mit der Leier des Untergangs der Demokratie kommst: Meinungsbildung findet nicht nur mittels Zeitungen statt (vor allem weil der Durchschnittsbürger nur eine pro Tag liest und ihm so das zentrale, nämlich unterschiedliche Standpunkte, fehlt).

        Und auch wenn Du es nicht gerne hörst: @KueddeR veröffentlicht nur Links welche durch die jeweilige Zeitung genau so publiziert wurden. Falls die nicht zum Verwenden gedacht sind, sollten die Zeitungen ihre Webseiten ändern (oder von der Gratiswerbung und -kundenvermittlung mittels Pay-Per-View profitieren).

  9. agossweiler schreibt:

    Nochmals: für die Meinungsbildung brauche ich Fakten, keine Kommentare. Deshalb fehlt mir nichts, wenn ich nur eine Zeitung lesen. Abgesehen davon enthalten viele Zeitungen Berichte über Verlautbarungen unterschiedlicher Parteien, kontradiktorische Interviews oder Pro-/Contra-Texte. So dass die Leser durchaus unterschiedliche Standpunkte kennen lernen können, auch wenn sie nur eine Zeitung lesen.

    Ich weiss, wie @KueddeR arbeitet. Das ändert nichts daran, dass seine Aktivitäten dem Journalismus schaden. Deshalb schrieb ich ja: man müsste das Piratisieren verunmöglichen. Kundenvermittlung ist das kaum. Denn viele Leute sagen sich: Weil es soviel im Internet gratis gibt, muss ich keine Zeitung kaufen. Die Zeitungen produzieren nicht am Kunden vorbei – der Fehler ist, dass sie ihre hart erarbeiteten Inhalte verschenken. Und darum Gefahr laufen, zu verhungern.

    • patrix schreibt:

      Ich denke wir sind uns darin einig, dass man Fakten unterschiedlich gewichten kann, ohne deswegen gleich einen Kommentar zu schreiben? Aktuelles Beispiel (aus FAZ, NZZ, Tagi, Welt):
      – „Das Steuerabkommen erleidet Schiffbruch: Der deutsche Bundesrat hat das Steuerabkommen mit der Schweiz zu Fall gebracht und damit die Beilegung des seit Jahren schwelenden Streits blockiert.“
      – „Deutscher Bundesrat kippt Steuerabkommen: Die Ländekammer in Berlin hat dem Steuerabkommen mit der Schweiz die Zustimmung verweigert. Sie lehnte den Vertrag mit knapper Mehrheit ab. “
      – „Steuerabkommen mit der Schweiz gestoppt: Das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz ist vorerst gescheitert. Die von SPD und Grünen geführten Länder lehnten es in der Länderkammer ab.“
      – „Bundesrat lehnt Steuerabkommen ab: Das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz ist im Bundesrat blockiert worden. Die Regierung gibt noch nicht auf“

      „zu Fall gebracht“/“Zustimmung verweigert“/“vorerst gescheitert“/“blockiert“ sind nicht diesselbe Aussage.

      • agossweiler schreibt:

        Schöner Vergleich, aber leider mit beschränktem Aussagewert. Das sind Nuancen. Hier geht es um Pflichtstoff, nämlich Berichterstattung über einen Parlamentsentscheid. Daran kann man als Journalist nicht allzuviel herumdoktern. No means No.

        Das Fleisch am Knochen liegt an einem ganz anderen Ort. Journalismus ist viel mehr als Parlamentsberichterstattung. In einem früheren Blogpost habe ich Beispiele erwähnt, die klar machen sollten, worin der Wert einer Zeitung besteht: Eine Zeitung muss verdeckte Zusammenhänge aufzeigen und Fakten zusammentragen, die den Leser zum Denken anregen. Am 5. Oktober erfüllte der TA diesen Job sehr gut: Er zeigte, dass die Quartiere der Reichen weniger Steuern abliefern als Mittelstandsquartiere. Er erklärte, warum unser Milizparlament ein Mythos ist. Und er relativierte den viel zitierten Vorwurf, wonach Sterbehilfe zu psychischen Schäden bei den Hinterbliebenen führe. Ich konnte en passant auch den Beweis liefern, warum man eine Zeitung braucht: Die drei erwähnten Texte waren nur im TA zu finden – nicht im Newsnetz, und schon gar nicht im 20min. Nur der serielle Pirat @KueddeR hat einen der Texte raubkopiert.

      • patrix schreibt:

        Besagter Tagi-Artikel ist ein sehr gutes Beispiel für das was ich meine: Hintergrund-Recherche bedeutet in diesem Fall doch auch, sich über Dinge wie Steuerertrag pro Kopf bzw. pro Quadratmeter Gedanken zu machen. Oder darüber, dass in den Kreisen 4 und 5 das Verhältnis von bezogenen staatlichen Leistungen zu bezahlten Steuern ganz anders (und aus Sicht des Staates schlechter) aussieht als im Kreis 7. Die Verkürzung auf „Quartiere der Reichen zahlen weniger Steuern“ ist zwar faktisch auf einem gewissen Level korrekt, ist schlussendlich aber bereits ein Meinungsartikel und keine Faktensicht mehr. Der könnte in dieser Form auch von den Jusos kommen.

  10. agossweiler schreibt:

    Ich kann hier nicht vertieft über das Thema Steuern diskutieren. Der Artikel diente nur als Beispiel für journalistische Texte, die zum Denken anregen – und die man nur dann in der nötigen Menge erhält, wenn man eine Zeitung abonniert.

    Der Artikel http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Steuerertraege-sind-im-Armenviertel-hoeher-als-im-Villenquartier/story/18067914 ist dennoch kein «Meinungsartikel», denn schon im Lead steht: «Allerdings sind in ärmeren Vierteln auch die Kosten höher.» Der TA hat nichts ausgeblendet. Der TA hat auch erwähnt, dass die Meinungen über die Kosten auseinander gehen. Es gibt Fachleute, die darauf hinweisen, dass die Infrastruktur in den ärmeren Quartieren pro Kopf weniger kostet, weil sie von mehr Leuten benützt wird.

    • patrix schreibt:

      Oh, gehst Du jetzt auch unter die seriellen Piraten?

      Der Artikel ist insofern einseitig als dass er in Titel und Einleitung einen Sachverhalt in den Vordergrund rückt der in der Gesamtsicht weitgehend irrelevant ist. Das wird zwar im weiteren Artikelverlauf teilweise relativiert, aber das bleibt nur beschränkt hängen. Ein fakten- und hintergrundrecherchen-orientierter Journalist hätte einen neutralen Titel gewählt und anschliessend die verschiedenen Dimensionen der Thematik sachlich beschrieben. Aber das ist beim Tagi ja kein Thema mehr.

  11. agossweiler schreibt:

    Keine Piraterie: Der Artikel ist für alle gratis zugänglich. Der Sachverhalt des Artikels ist überhaupt nicht irrelevant. Es ist wichtig zu wissen, wer den städtischen Haushalt zu welchen Anteilen finanziert. Wenn Dir die Aufmachung des Artikels nicht gefällt, kannst Du auch die NZZ oder die Weltwoche lesen. Aber neutrale Titel gibts dort nicht.

    • patrix schreibt:

      Die Aussage, dass der Artikel irrelevant sei, kommt nicht von mir.

      Abgesehen davon: Danke dass Du meine These von viel weiter oben in der Diskussion bestätigt hast.

  12. agossweiler schreibt:

    «… einseitig als dass er in Titel und Einleitung einen Sachverhalt in den Vordergrund rückt der in der Gesamtsicht weitgehend irrelevant ist» – das kam von Dir, oder?

    Abgesehen davon: Ich habe Deine abenteuerlichen Behauptungen widerlegt, nicht bestätigt.

  13. agossweiler schreibt:

    Der Sachverhalt im Titel ist auch in der Gesamtsicht nicht irrelevant. Bitte keine Spitzfindigkeiten

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