Answer Songs

Die Musikwelt ist männlich dominiert. Und so ist es kein Wunder, dass viele Songs von einer männlichen Perspektive aus geschrieben wurden. Manche davon sind schwer erträglich. Männliches Protzgehabe wechselt sich ab mit Wehleidigkeit. Doch das Gegengift wurde schon lange gefunden – in Form von sogenannten Answer Songs. Meistens verwendeten diese Songs die gleiche Melodie wie die Songs, auf die sie sich beziehen, aber sie haben einen anderen Text. Es erstaunt nicht, dass die meisten dieser Answer Songs von Frauen geschrieben oder gesungen wurden. Sie geben die weibliche Sicht wieder – ein oft dringend nötiges Korrektiv. Einige besonders gelungene Beispiele sind die folgenden:

Kenny Rogers: «Ruby, Don’t Take Your Love To Town» (1969)
Geraldine Evans: «Billy, I’ve Got To Go To Town» (1969)

Die Sängerin hat sich die Lippen geschminkt und schön frisiert. Sie hat sich bereit gemacht, um in die Stadt zu gehen – sehr zum Missfallen ihres Mannes. Der Mann wird von niemand anderem repräsentiert als von Kenny Rogers, der die imaginäre Frau ein Jahr zuvor aufgefordert hatte: «Ruby, Don’t Take Your Love To Town». Seit dem Korea- oder Vietnamkrieg an beiden Beinen gelähmt, hat der Mann furchtbare Angst, dass seine Partnerin ihm untreu werden könnte. Darum terrorisiert er sie mit seiner Eifersucht und denkt sogar laut darüber nach, seine Frau umzubringen. Er schwadroniert: «I was proud to go / and do my patriotic chore». Doch Ruby beziehungsweise Geraldine Stevens kontert nüchtern: «Begged you not to go and fight that crazy Asian war». Und beschwört ihn: «Oh my Billy, for god’s sake trust in me».

Jayne Mansfied

Big Bopper: «Chantilly Lace» (1958)
Jayne Mansfield: «That Makes It» (1964)

Der Hit «Chantilly Lace» von Big Bopper enthält eine der berühmtesten, abgeschmacktesten Telefonflirt-Zeilen: «Hello baby, yeah, this is the Big Bopper speaking… Oh you sweet thing! Do I what? Will I what? Ooh baby you know what I like!» Nur logisch, dass man gerne wissen möchte, was die Dame am anderen Ende der Leitung in den Hörer haucht. Die platinblonde Diva Jayne Mansfield hat den weiblichen Part des Telefonflirts kongenial umgesetzt. Wobei sie sich nicht damit zufrieden gibt, den Big Bopper zufrieden zu stellen. Sie meldet mit lasziver Stimme ihre eigenen Wünsche an: «I want a man that moves, I want a man that grooves, with long black hair, he can’t be no square».

Jim Reeves: «He’ll Have To Go» (1959)
Jeanne Black: «He’ll Have To Stay» (1960)

Eine klassische Schmonzette ist der Song «He’ll Have To Go» des Country-Crooners Jim Reeves. Er schlägt einen Kuhhandel vor: «I’ll tell the man to turn the juke box way down low, and you can tell your friend there with you he’ll have to go». Doch Jeanne Black hat nicht im Sinn, sich auf ein solches Angebot einzulassen. Keck hält sie dem Cowboy-Sänger den Spiegel vor, und er zeigt kein vorteilhaftes Bild: «You broke the date that we had made just yesterday, now there’s someone else who’s here, he’ll have to stay». Auch der gewitzte Antwortsong wurde prompt ein Hit, der einzige für Jeanne Black. Später formulierte sie mit «Oh How I Miss You Tonight» auch noch eine Antwort auf Elvis Presleys Schmachtfetzen «Are You Lonesome Tonight?»

Wilson Pickett: «In the Midnight Hour» (1965)
Ann Mason: «(You Can’t Love Me) In The Midnight Hour» (1965)

Ganz schön frech, diese Ann Mason. Gleich zu Beginn stellt sie klar: «You wanna hold me in the midnight hour , cause that’s the only time I’m on your mind». So gewinnt mann nicht das Herz von Ann Mason. Nicht mal wenn man Wilson Pickett heisst. Natürlich ist der Song eine Antwort auf Picketts berühmten Soul-Kracher «Midnight Hour». Die Sängerin stellt klar: «I’m not a girl that you can use in the midnight hour. You gotta love me in the morning, you gotta love me during the day.»

Neil Sedaka: «Oh! Carol» (1958)
Carole King: «Oh Neil» (1959)

Die Teenieschnulze «Oh! Carol» von Neil Sedaka klingt wie Dutzende anderer Schnulzen der ausgehenden fünfziger und beginnenden Sechzigerjahre. Da reimt sich «I am but a fool» auf «you treat me cruel». Inspiriert war das Lied offenbar von der genialen Songschreiberin Carole King. Die reagierte mit einer witzigen Antwort: «My grandpappy, he don’t like your records, he said if I play them, I will surely die». In der nächsten Strophe trottet Opa doch tatsächlich mit seiner Flinte daher. «There’s nothing left to do. Oh Neil, I’ll surely die for you», sind Carols letzte Worte.

Ernie K-Doe: «Mother-in-Law» (1961)
The Blossoms: «Son-in-Law» (1961)
Louise Brown : «Son-in-Law» (1961)
Die Saftwurzel aus New Orleans Ernie K-Doe (eigentlich Ernest Kador) hatte einen Nummer-1-Hit mit dem Song «Mother-in-Law», geschrieben vom grossartigen Allen Toussaint. «The worst person I know» reimt sich da auf «She worries me so», und noch böser: «Satan should be her name, to me they’re about the same». Die Antwort der Blossoms liess nicht lange auf sich warten. Aus der Sicht der Schwiegermutter gaben sie kräftig zurück: «He eats so much that we’ve got no food, he’s got no friends cause he’s so rude.» In die gleiche Kerbe haut der gleichnamige Answer Song von Louise Brown: «You better get it clear, I’m the boss round here.»

Im politisch aufgeheizten Klima der 1960er Jahre gab es einige Answer Songs, die sich auf Protestlieder bezogen. Einige davon thematisierten den Vietnamkrieg, besonders prägnant die folgenden:

Barry McGuire: «Eve of Destruction» (1965)
The Spokesmen: «The Dawn of Correction» (1965)
Mit dem von P.F. Sloan verfassten «Eve of Destruction» gelang dem kalifornischen Sänger Barry McGuire ein kolossaler Hit. Song und Vortrag waren stark von Bob Dylan inspiriert, jedoch ohne dessen Tiefgang. Mit unheilschwangerer Raspelstimme beschwor McGuire den Weltuntergang hinauf. Damit gab er im Zeitalter der nuklearen Aufrüstung einer weit verbreiteten Sorge Ausdruck. Nur war alles so dick aufgetragen, dass die Glaubwürdigkeit litt. Immerhin enthielt der Song einige intelligente Zeilen wie «You’re old enough to kill but not for votin’» (die jungen US-Bürger wurden mit 18 für den Krieg aufgeboten, aber durften erst mit 21 abstimmen) oder «Think of all the hate there is in Red China, then take a look around to Selma, Alabama». Konservative Gemüter fanden solche Verse furchtbar unpatriotisch. Sie feuerten eine ganze Salve von Answer Songs ab, einer davon hiess «The Dawn of Correction». Er bezog sich konkret auf die Lyrics von Barry McGuire’s Hit: «Maybe you can’t vote boy, but man your battle stations, or there’ll be no need for votin‘ in future generations.» Das war genau so übertrieben wie Sloan’s Zeilen. Rückblickend hatten die Spokesmen recht: Die Welt ging nicht unter. «There are buttons to push in two mighty nations, but who’s crazy enough to risk annihilation?» Glücklicherweise war keine Nation verrückt genug, um einen Atomkrieg zu starten.

Donovan: «Universal Soldier» (1965)
Jan Berry: «Universal Coward» (1965)
Er kämpft für die USA, für die Russen, für die Demokratie, für die Roten: der «Universal Soldier». Donovan nahm diesen klassischen Protestsong aus der Feder von Buffy Sainte-Marie auf. «Brothers can’t you see, this is not the way we put an end to war», so lautet der Schluss des Songs. Nur ein Monat später erschien die Antwort von Jan Berry, der einen Hälfte des Surf-Rock-Duos Jan and Dean: «Universal Coward». Mit diesem Song verspottete Berry Anhänger der Friedensbewegung, die nur «Feiglinge» seien, die «nicht wissen, dass sie ihr eigenes Grab schaufeln». Angeblich weigerte sich sein Bandkumpel Dean Torrence, bei diesem «Answer Song» mitzuwirken, deshalb kam er als Solo-Single auf den Markt. Das musikalische Arrangement ist reichhaltig und zeigt Jan Berrys grosses musikalisches Talent. Der Text ist hingegen recht oberflächlich: «He can’t get it through his thick skull why the mighty USA has got to be a watchdog of the world.» Angeblick kommentierte Dean, Jan sei für den Krieg, solange er nicht nach Vietnam geschickt werde.

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2 Antworten zu Answer Songs

  1. avongunten schreibt:

    Interessant, danke für die Zusammenstellung. Ich erinnere mich soeben an einen Sampler (auf Philips-Cassette), auf welchem zuerst der Song „Young Girl (get out of my mind)“ von Gary Puckett (http://www.youtube.com/watch?v=hn0ZJHVH17I) und gleich danach „Dirty Old Man“ von den Three Degrees zu hören war (http://www.youtube.com/watch?v=iLEMJdSH4PE). Der eine ist zwar kaum ein Answer Song zum anderen, aber ich habe mir damals immer vorgestellt, dass der Kurator des Samplers diese „Answer-Absicht“ hatte, obwohl ich ehrlich gesagt die Texte der beiden Songs noch nie wirklich angehört habe. Die Titel haben mir genügt, um es passend zu empfinden 🙂

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