Warum man eine Zeitung braucht

Der erste Bund des Tages-Anzeigers liefert heute gleich drei Artikel, die klar zeigen, für was man eine Zeitung braucht. Und warum man ohne Zeitung nicht genügend informiert ist. Mich schauderts ja immer, wenn ich im Zug die vielen Leute sehe, die ein Gratisblättli lesen. Mich schauderts auch, wenn Leute behaupten, sie seien auch ohne Zeitungsabonnement gut informiert. Diese Meinung ist heute so populär, dass sogar eine Politikerin wie die EVP-Nachwuchskraft @TaniaZH nichts dabei findet, zu twittern, es sei doch viel zu anstrengend, eine Tageszeitung in den Händen zu halten und zu lesen.

Auf Seite 3 bietet der Tages-Anzeiger eine ganze Seite zum Thema Steuererträge. Man reibt sich die Augen: Der TA berichtet über Studien aus verschiedenen Städten, die zeigen, dass die weniger wohlhabenden Quartiere mehr Steuern abliefern als die Quartiere der Reichen. Das gibt zu denken. Normalerweise wird einem ja erzählt, es seien die Reichen, die die Infrastruktur finanzieren. Natürlich ist die Bevölkerungsdichte in den ärmeren Quartieren grösser, aber die Einkommensunterschiede dürften in einer anderen Grössenordnung liegen.

Spannend sind auch zwei Analysen auf Seite 9. Jean-Martin Büttner erklärt, warum die Schweiz ein Berufsparlament braucht. Gekonnt entzaubert Büttner den Mythos des Schweizer Milizsystems: «In Wahrheit betreibt die Schweiz ein verheimlichtes Berufsparlament, was heisst: Man hält am Mythos fest, gerade weil er die Realität verschleiert.» Der Text ist aktuell, da in den letzten Tagen immer mehr Parlamentsmitglieder an ihre Grenzen kamen: Mörgeli, Rickli, Spuhler und Bäumle. Wieder ein Text, der zum Denken anregt. Genau für das braucht man eine Zeitung.

Daneben steht ein kurzer Text von Hugo Stamm, der hilft, die Meldung vom Vortag einzuordnen, wonach ein Viertel der Angehörigen nach einer Freitodbegleitung, wie sie Exit und Dignitas anbieten, psychisch erkranken. Hugo Stamm reicht die Information nach, dass auch bei natürlichen Todesursachen viele Hinterbliebenen unter Depressionen leiden. «Somit relativieren sich die erhobenen Zahlen bei der Sterbehilfe erheblich», erklärt Stamm.

Genau für das braucht man eine Zeitung: Sie regt zum Nachdenken an, entzaubert Mythen, ordnet Fakten in einen grösseren Zusammenhang ein. Wer glaubt, die Zeitungslektüre sei zu mühsam, verpasst diese Informationen:

Newsnetz bringt zwar den Artikel über die Steuererträge, aber nicht die beiden anderen Beiträge von Büttner und Stamm;

20minuten macht auf mit einer angeblichen «Morddrohung gegen Roger Federer», von der man nicht mal weiss, ob sie ernst gemeint war;

– der Twitter-Pirat @kueddeR hat den Büttner-Text raubkopiert, aber nicht die beiden anderen Artikel (Stand Freitagmorgen).

Nun könnte man argumentieren, dank @KueddeR und Newsnetz könne man zwei der drei erwähnten Texte gratis lesen. Das würde wiederum für eine Paywall sprechen, und zwar für eine, die man nicht so leicht austricksen kann, wie das @KueddeR tut. Aber das ist ein anderes Thema.

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16 Antworten zu Warum man eine Zeitung braucht

  1. Schmieli schreibt:

    Danke, du sprichst mir aus dem Herzen. Und egal, ob die Morddrohung gegen Federer ernst gemeint war oder nicht: Das als Aufmacher?! Diese Prioritätensetzung wird mich immer ärgern!

  2. patrix schreibt:

    @kueddeR ist mitnichten ein Raubkopierer, die verlinkten Artikel sind für jeden interessierten Leser frei zugänglich. Und wer sich nur über die Zeitungs-Websites informiert, verpasst in der Tat etwas, es gibt schliesslich noch tonnenweise andere Infoquellen im Web. Selber denken und gewichtigen ist dann natürlich notwendig, das kann man dann nicht mehr so einfach einer (mehr oder weniger kompetenten und neutralen) Redaktion überlassen.

    • agossweiler schreibt:

      patrix > Die verlinkten Artikel sind nur für zahlende Leser zugänglich. Man kann sie zwar verlinken, das ist erlaubt. Aber wenn einer tagein, tagaus Dutzende kostenpflichtiger Artikel an fast 1000 Follower versendet, dann geht das schon stark in Richtung Raukopie. Fakt ist: Mit seinem «Service» gibt @KueddeR all jenen ein zusätzliches Argument, die glauben, sie müssten keine Zeitung abonnieren, weils im Internet ja sowieso alles gratis gebe.

      «Tonnenweise andere Infoquellen» gibt es im Web schon, aber wie zuverlässig sind die? Auch das ist kein Grund, um auf ein Zeitungsabonnement zu verzichten.

      «Selber denken» ist gut und notwendig. Aber auch das kann die Arbeit einer Zeitungsredaktion nicht ersetzen. Die Redaktion denkt nicht nur – sie recherchiert, enthüllt unbekannte Fakten, stellt Zusammenhänge dar. Das alles kann ein einzelner Internet-User niemals selber erledigen.

      • patrix schreibt:

        Wenn ich zu einem spezifischen Thema die Artikel in der WoZ, Blick, Tagi, NZZ und Weltwoche lese und vergleiche, dann stellt sich mir die Frage der Zuverlässigkeit jeweils auch. Da bin ich dann auch mit anderen Quellen gut bedient, die ich ja als mitdenkender Leser nicht einfach wild via Google suche sondern über längere Zeit verfolge und daher auch etwa weiss woher der „ideologische“ Wind weht.

  3. Pingback: Warum ich keine Tageszeitung abonniere | Blog

  4. Pingback: Warum man trotzdem eine Zeitung braucht: Meine Antwort auf Tania Woodhatchs Blogtext | SILVER TRAIN

  5. agossweiler schreibt:

    Patrix > Und woher wissen Sie, ob die «anderen Quellen» zuverlässig sind? Welche Quellen sind das? Zuverlässigkeit ist nicht nur eine Frage des «ideologischen Windes», sondern es sind viele andere Faktoren wichtig: Redaktionskultur, Leistung des Journalisten, Faktenlage usw. Die von Ihnen genannten Titel sind dermassen heterogen, dass man anhand dieser Titel keine allgemeine Aussage bezüglich der Zuverlässigkeit machen kann.

    • patrix schreibt:

      Danke, heterogen ist das Stichwort 🙂 Das gilt für redaktionelle Quellen gleich wie für nicht-redaktionelle.

      • agossweiler schreibt:

        Das kann man so nicht sagen. Bei Internet-Texten sieht man oft nicht mal, wer sie geschrieben oder finanziert hat. Das Internet enthält einen bunten Mix aus Gerüchten, PR, Meinungen und Fakten. Wobei die Fakten den kleinsten Teil ausmachen. Deshalb gilt: Internetsurfen ist kein Ersatz fürs Zeitungslesen.

  6. patrix schreibt:

    Das („Internetsurfen ist kein Ersatz fürs Zeitungslesen“) behauptet ja auch niemand. Und von einem recherche-bewussten Journalisten würde ich jetzt schon mal erwarten dass er auch bei Blogs etc. Qualität erkennen kann und keine pauschalen Urteile bzgl. Quelle und Finanzierung abgibt. Das weiss ich bei der BAZ oder dem Tagi schliesslich auch nicht.

    Die Frage ist, ob man durch eine gut gewählte Auswahl von Beiträgen aus Gratisblättern, Zeitungs-Webseiten und Blogs in etwa gleichwertig informiert ist wie durch das Lesen *einer* Tageszeitung. Ich habe dieses Experiment von Februar bis August gemacht und hatte nie den Eindruck, irgendetwas zu verpassen. Natürlich fehlten während dieser Zeit die oft hochinteressanten Hintergrundartikel aus der NZZ (vor allem der internationalen Korrespondenten), aber ich gewann dank verschiedener Blogs andere Einblicke in Themen die mir vorher nicht wirklich bewusst waren.

    • agossweiler schreibt:

      «Das behauptet ja auch niemand»: Doch natürlich, jede Menge Leute behaupten, sie müssten keine Zeitung lesen, weil es alles im Netz gratis gebe. Auch die erwähnte Tania Woodhatch ist diesem Irrglauben verfallen.

      «Würde ich jetzt schon mal erwarten dass er auch bei Blogs etc. Qualität erkennen kann und keine pauschalen Urteile bzgl. Quelle und Finanzierung»: Erstens habe ich keine pauschalen Urteile gefällt. Und zweitens ist für den Leser im Internet meistens gar nicht erkennbar, wer einen Text schreibt und finanziert. Bei Zeitungen ist das anders: Dort gibt es immer ein Impressum, und Sponsoring wird in der Regel offengelegt.

      «Ich habe dieses Experiment von Februar bis August gemacht und hatte nie den Eindruck, irgendetwas zu verpassen»: Mit diesem «Experiment» lassen sich keine stichhaltigen Erkenntnisse gewinnen. Du weisst ja gar nicht, was du allenfalls verpasst hast, weil du die Zeitung im betreffenden Zeitraum nicht gelesen hast.

      «Ich gewann dank verschiedener Blogs andere Einblicke in Themen, die mir vorher nicht bewusst waren»: Super. Aber ich hab ja gar nie gesagt, man solle keine Blogs lesen. Die Devise ist: Das eine tun und das andere nicht lassen.
      Zudem schreiben viele Blogs von Zeitungen ab. Wenn sich alle Leute wie du verhalten würden, d.h. wenn niemand mehr eine Zeitung kaufen würde, gäbe es bald keine Zeitungen mehr, und dann könnten die Blogs nichts mehr abschreiben. Dieses parasitäre Modell hat offensichtlich keine Zukunft.

      • patrix schreibt:

        Und wenn die Fakten nicht mit Deiner Sicht der Dinge übereinstimmen, werden sie einfach ignoriert?! Wo im Impressum von Tagi oder NZZ steht, wer welche finanziellen Interessen an der Zeitung und deren Berichterstattung hat? Was ist mit all den Texten/Blogs welche defacto keine finanziellen Interessen haben (da sie von engagierten und kommunikationsfreudigen Menschen in ihrer Freizeit geschrieben werden)?

        Geradezu süss finde ich die Aussage, dass viele Blogs von Zeitungen abschreiben. Da muss ich wohl die falschen Blogs lesen. Andererseits erlebe ich regelmässig, dass die Qualitätspresse Dinge wie „wie im Internet berichtet wurde“ oder „gemäss Internetquellen“ schreibt, natürlich ohne die spezifische Quelle auch nur zu nennen (geschweige denn in der Online-Ausgabe zu verlinken).

        Und ja, ich bin durchaus der Meinung dass ein guter Mix aus verschiedenen Nachrichtenquellen (inklusive redaktionell betreuter Erscheinungsformen wie Zeitungen) hilfreich ist. Ob darunter dann zwingend klassische Zeitungen sein müssen oder ob es auch Dinge wie Journal21 oder das leider nur kurzlebige Mag20 sein können, ist vielleicht Geschmacksache. Aber die Aussage „Es braucht eine Zeitung“ ist in dieser Form nicht gültig.

  7. agossweiler schreibt:

    patrix > «Und wenn die Fakten nicht mit Deiner Sicht der Dinge übereinstimmen, werden sie einfach ignoriert?» Du präsentierst keine Fakten, sondern (falsche) Vermutungen. Zeitungen werden von Inserenten und Abonnenten finanziert.
    «Was ist mit all den Texten/Blogs welche defacto keine finanziellen Interessen haben?» Das Internet besteht nicht nur aus Blogs, sondern auch aus vielen PR-Seiten, bei denen oft nicht klar ist, wer dahinter steht. Die Idee, dass die Texte im Internet nur von «kommunikationsfreudigen Menschen» ohne Eigennutz erstellt werden, mutet naiv an.
    «Geradezu süss finde ich die Aussage, dass viele Blogs von Zeitungen abschreiben»: Das ist nicht süss, sondern eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache. Es gibt Studien, die das zeigen.
    «Andererseits erlebe ich regelmässig, dass die Qualitätspresse Dinge wie “wie im Internet berichtet wurde” oder “gemäss Internetquellen” schreibt»: Das ist eine pure Behauptung von dir.
    «Ob darunter dann zwingend klassische Zeitungen sein müssen oder ob es auch Dinge wie Journal21 oder das leider nur kurzlebige Mag20 sein können, ist vielleicht Geschmacksache»: Nein, das ist nicht Geschmackssache. Es gibt objektive Kriterien. Journal21 wird in Freizeitarbeit hergestellt und hat deshalb nicht die gleichen Möglichkeiten wie eine professionelle Zeitung. Die Berichte im Mag20 hatten Amateurqualität, ein solches Heft kann niemals eine Zeitung ersetzen. Was eine gute Zeitung bietet, können Blogger, die am Feierabend vor sich hin schreiben, niemals ersetzen.

  8. Klaus Meinrad schreibt:

    Die Diskussion sollte nicht auf „Zeitung versus Internet“ hinauslaufen, sondern „Laienreporter versus Redaktion“. Das Internet ist wie das bedruckte Papier ein Medium. Welcher Inhalt das jeweilige Medium überträgt ist entscheidend, denn ob ein interessanter, gut recherchierter Artikel im Internet publiziert wird oder in einer Zeitung ändert nichts am Inhalt. Nun haben beide Medien eben Vor- und Nachteile und rufen noch mehr ideologische Vorurteile hervor! Langfristig sollten die Zeitungsverlage meiner Meinung nach interessiert sein online ihre Artikel kostenpflichtig zu einem fairen Preis anzubieten. Genau hier hinkt es aber gewaltig, denn ich verstehe nicht wieso ich für Onlinepublikationen genau oder fast genau so viel bezahlen soll wie für eine Printausgabe die mehr Kosten für den Verlag verursachen. Hier fühlen sich viele potenzielle Leser zu Recht abgeschreckt.
    Zudem gibt es viele Themen die in Blogs und spezialisierten Websites viel ausführlicher behandelt werden. Es ist also eine Illusion, dass die Tageszeitung stets die beste Informationsquelle sei!

    • agossweiler schreibt:

      Klaus Meinrad > «Die Diskussion sollte nicht auf “Zeitung versus Internet” hinauslaufen»: Das ist auch nicht meine Absicht. In dieser Diskussion geht es um Inhalte, nicht um Plattformen.

      «Zudem gibt es viele Themen die in Blogs und spezialisierten Websites viel ausführlicher behandelt werden. Es ist also eine Illusion, dass die Tageszeitung stets die beste Informationsquelle sei»: Das stimmt nicht. Es ist keine Illusion. Nichts gegen Blogs – aber die Themen, die in Blogs ausführlicher als in Zeitungen behandelt werden, sind nur Nischenthemen, die ein paar Spezialisten interessieren. Die Themen, die ein grosses Publikum interessieren, werden fast ausschliesslich in professionellen Medien behandelt, nicht in Blogs.

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