Besuch im Medizinhistorischen Museum

Das Medizinhistorische Museum der Universität Zürich und sein Konservator standen diese Woche unter Kritik der regionalen Presse. Da ich gerne Museen anschaue, wobei ich nicht nur auf den Inhalt achte, sondern auch auf die Präsentation, nahm ich die Berichterstattung zum Anlass, das Medizinhistorische Museum unvoreingenommen einmal genauer anzuschauen.

Museum

Von aussen sieht das Museum sehr klassisch aus: In goldenen Lettern steht MUSEUM auf  dem Architrav über dem Eingang. So wie bei vielen Museen in kleinen Städten. Die Ausstellung beginnt mit magischen Heilpraktiken – links katholische Ex-Votos, rechts afrikanische Figuren. Das medizinische System der «Naturvölker» weiche stark von unserem ab, steht im erklärenden Text. Ob das wirklich stimmt ist in unserer Zeit, in der Homöopathie, Akupunktur und andere magische Heilmethoden boomen, ist fraglich.

Hygieia

Das Museum enthält Informationen und Gegenstände zur Geschichte der Heilkunst bei Griechen, Römern und im Mittelalter. Es stellt die antike «Vier-Säfte-Lehre» vor. Im Mittelalter sei die Medizin «mit der griechisch-römischen Kultur zerfallen», steht im Begleittext. Weiter zeigt das Museum die Entwicklung der modernen Medizin  anhand vieler medizinischen Werkzeuge und Apparate. Damit vermittelt es den Eindruck, die Medizin sei je besser geworden, umso mehr Geräte erfunden wurden. Fachleute hinterfragen diese Sichtweise heute immer stärker. Das Medizinhistorische Museum stellt den Königsweg der technifizierten Medizin als gottgegeben dar. Kritische Stimmen vermittelt es nicht.

Gebärhilfepuppe

Die Sammlung des Museums ist gross und reichhaltig. Im Museum finden sich einige Trouvaillen, darunter zwei grosse Koffer mit chirurgischen Instrumenten für Überseeschiffe, eine Puppe zum Üben der Geburtshilfe aus dem 18. Jahrhundert, eine «Buckelmaschine», Glasaugen und viel Tolles mehr. Leider werden aber diese schönen Objekte alle so präsentiert, wie man vor hundert Jahren Museen gestaltete: in mannshohen Glasvitrinen. Fast das ganze Museum ist mit Glasvitrinen verstellt. Inzwischen gibt es viele andere Museen, die ihre Sammlungen wesentlich raffinierter inszenieren. Audiovisuelle oder interaktive Elemente fehlen weitgehend. Es gibt ein paar Bildschirme, auf denen theoretisch alte Filme zu sehen sein sollten, aber die waren bei meinem Besuch ausser Betrieb.

Galvanis Frosch

Die Geschichte der Medizin enthält viele spannende Episoden. So ist kaum bekannt, dass der Blutkreislauf erst im 17. Jahrhundert entdeckt wurde, vom englischen Arzt William Harvey. Vorher wusste man schlicht nicht, warum Tiere und Menschen ein Herz haben. Harveys Entdeckung kommt im Museum vor, aber wird beiläufig präsentiert als eine unter zahllosen Stationen des medizinischen Erkenntnisgewinns. Überhaupt ist die Darstellung der Medizingeschichte im Museum sehr statisch: Die Geschichte wird als Abfolge von Gegenständen und Erfindungen dargestellt. Debatten über Sinn und Unsinn von Behandlungen werden nur ganz beiläufig angetönt. So dass die Geschichte der Medizin als ununterbrochene Folge von genialen Erfindungen erscheint. Dramatische Episoden wie die Entdeckung der mangelnden Hygiene in Spitälern durch Ignaz Semmelweis werden zwar erwähnt, aber in der Vitrine verliert die Entdeckung von Semmelweis ihre Brisanz völlig.

Anleitung für Kondomgebrauch

Im letzten Raum stellt das Museum gefährliche Krankheiten wie Pest, Lepra, Tuberkulose, Krebs und Aids vor. Die Vitrinen zum Thema Aids sind eine Lachnummer erster Güte. Die Informationen zu Aids sind hoffnungslos veraltet. Sechzehn Jahre nach der Einführung der antiretroviralen Therapie steht im Museum immer noch: «Eine wirksame Therapie gibt es bisher noch nicht.» Aber hallo, Herr Konservator? Die Aids-Vitrine enthält auch eine dreidimensionale Anleitung zum richtigen Gebrauch von Kondomen: «Kondom nur einmal verwenden», rät das Museum. Gibt es wirklich Museumsbesucher, die Kondome mehrmals verwenden wollen? Gehört es zu den Aufgaben eines medizinhistorischen Museums, den Leuten zu erklären, wie man ein Kondom richtig verwendet?

Weitere Informationen auf der Webseite, die genau so verstaubt aussieht wie das Museum: www.medizin-museum.uzh.ch

Update: Am 30. September, also zwei Wochen nach meinem Blogbericht, besucht auch die NZZ am Sonntag «Prof. Mörgelis Gruselkabinett» (Titel des Artikels) und kommt zu einem ähnlichen Schluss wie ich: «Schwerer noch als die konservative Grundhaltung und die verstaubte Optik wiegt indes das altmodische Konzept. Eine Sammlung, die sich in grossen Teilen als chronologisch und nach Fachgebieten arrangiertes Sammelsurium von Zufälligkeiten präsentiert, vermag ihre Besucher kaum noch zu fesseln. Es fehlen Problemstellungen, die Themen vertiefen und sich als rote Fäden durch die Ausstellung ziehen; und man muss kein Freund von multimedialer Berieselung oder interaktivem Schnickschnack sein, um ein paar bequeme Einstiegshilfen zu vermissen.»

Fotos: Andreas Gossweiler

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7 Antworten zu Besuch im Medizinhistorischen Museum

  1. avongunten schreibt:

    Hi Andreas
    Ich kann die Kritik an der veralteten Weise, wie das Medizinihistorische Museum offenbar gestaltet ist, die man da und dort hört schon nachvollziehen. Persönlich freue ich mich allerdings immer, wenn ich ein Museum entdecke, welches noch nach den Vorstellungen der ersten grossen Museen, aufgebaut sind. Ich liebe deswegen zum Beispiel auch die alten Abteilungen des Naturhistorischen Museums in Wien oder des Natural History Museums in London. Man spürt in diesen Räumen den Optimismus, dass Aufklärung und Wissenschaft uns eine bessere Welt bescheren wird, der damals geherrscht hat. Man kann sich das Gefühl der Überwältigung der Menschen vorstellen, die damals plötzlich mit der wunderbaren Vielfalt der Welt konfrontiert wurden. Gerade die Fülle der Gegenstände und der Anspruch, vollständig sein zu wollen, hat etwas faszinierendes und lädt auch zum Abschweifen ein, fast schon wie das Internet. Die alten Museen haben einfach alles ausgestellt, was sie hatten, und den Besuchern die Auswahl überlassen, während die neuen viel stärker auswählen und kuratieren. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wie gesagt, ich kann verstehen, dass die Zeit der alten Vitrinenmuseen abgelaufen ist und diese wohl nicht bleiben können, aber es ist ein wenig, wie mit den alten Bahnhöfen. Wenn sie alle Weg sind, ist es auch schade. Ich denke, ich muss dieses Medizinmuseum nun noch schnell besuchen gehen, bevor es „modernisiert“ wird 🙂 Danke für den Bericht.
    Beste Grüsse
    Andreas

    • agossweiler schreibt:

      Danke für Deinen Kommentar, Andreas. Du hast recht: Veraltete Museen haben einen speziellen Charme. Eigentlich sollte man sie unter Denkmalschutz stellen. Dennoch bin ich dafür, dass das Museum neu gestaltet wird. Ein Museum sollte ja nicht nur charmant sein, sondern einen Erkenntnisgewinn ermöglichen, und da könnte man beim Medizinhistorischen Museum viel mehr herausholen mit einer zeitgemässen und attraktiven Vermittlung des Themas. Laut dem Tages-Anzeiger denkt die Universität über eine Neugestaltung nach. Wenn Du das Museum in seiner bisherigen Form anschauen willst, solltest Du es tatsächlich bald besuchen.

  2. Horst schreibt:

    Vielleicht sollst man ja das Museum in ein Museum für Museen (gibt es so etwas?) zügeln und es dort erhalten und zeitgleich ein neues zeitgemässes Museum einrichten.

  3. Danke für diesen unvoreingenommenen Bericht aus dem für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil der Wirkungsstätte von Prof. Dr. Mörgeli. Ich kann mir jetzt etwas besser vorstellen, welche Wunder zu entdecken wären. Falls ich in der Nähe wäre und über viel freie Zeit verfügen würde, könnte ich mich dem Charme dieses museumswürdigen Museums ergeben.
    Ich habe die Berichterstattung vefolgt und mir ist darum in diesem Bericht aufgefallen, dass das Spezialgebiet „Totentanz“ nur mit einem einzigen Foto erwähnt und daher wohl kaum prominent inszeniert war. Täusche ich mich da?

    Zitat Tagi: Mörgelis Spezialgebiet sind die Totentänze. «Hier bin ich an der Weltspitze», sagt der Vizepräsident der Europäischen Totentanz-Vereinigung.

  4. tinyentropy schreibt:

    Vielen Dank für diese virtuelle Museumsführung! War sehr informativ. Weiss allerdings nicht, ob ich selbst dorthin gehen würde, wenn die Art der Präsentation so angestaubt ist.

    Gruss

  5. Pingback: «Wir sind digitale Leibeigene» | SILVER TRAIN

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