Montaigne und die Katze

Die neue Montaigne-Biographie des Historikers Volker Reinhardt ist sehr informativ. Wer das Buch liest, weiss Bescheid über Montaigne und lernt vieles über seine Zeit, die durch bittere Kämpfe zwischen Katholiken und Reformierten geprägt war. Reinhardt führt die Leser zu einer Auswahl der wichtigsten Textstellen der «Essais». Zum Beispiel zur Stelle im längsten Essai, in dem Montaigne wortgewaltig donnert:

«Die elendste und zerbrechlichste Kreatur ist der Mensch, und dazu die bei weitem eingebildetste. Sie fühlt und sieht sich hier untergebracht, zwischen dem Schlamm und dem Mist der Welt, aufs Schlimmste angeklebt und festgenagelt an den totesten und verfaultesten Teil der Welt, im untersten Geschoss und am weitesten vom Himmelsgewölbe entfernt, zusammen mit den Tieren der untersten Gattung – und versetzt sich in seiner (eigentlich: in ihrer, Anmerkung A.G.) Einbildung über den Mond und setzt seine Füsse auf den Himmel unter sich.»

Boah, das sitzt. Der Mensch vergleiche sich sogar mit Gott, schimpft Montaigne weiter, und er masse sich göttliche Qualitäten an. Er glaube, er sei etwas Besseres als die Tiere. Beim Lesen dieses Essais gefiel mir jedoch eine andere Textstelle viel besser, die kurz nach der von Reinhardt zitierten Stelle kommt, die viel humorvoller geschrieben ist:

«Wenn ich mit meiner Katze spiele, wer weiss, ob sie sich nicht eher ihre Zeit mit mir vertreibt, als ich mit ihr?»

Volker Reinhardt: «Montaigne – Philosophie in Zeiten des Krieges. Eine Biographie.» C.H.Beck 2023

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