
Seit bekannt wurde, dass die Berner Brasserie Lorraine ein Konzert einer lokalen Reggae-Band abgebrochen hatte, weil sie den Dreadlocks tragenden Musikern «kulturelle Aneignung» vorwarf, gehen die Wellen in den Kommentarforen hoch. Die Meinungen sind schnell gemacht, hüben und drüben. Aber es lohnt sich durchaus, sich in das Thema vertiefen, es ist nicht neu, und es beschränkt sich bei weitem nicht auf Reggae.
Im Musée d’Ethnographie de Neuchâtel (MEN) ist derzeit eine spannende Ausstellung zu sehen, die das Thema aufgreift. Im erstmals bespielten Untergeschoss des Museums ist ein Chanel-Bumerang ausgestellt, den die Pariser Modefirma vor fünf Jahren (neben Tennisbällen, Surfboards und anderen Sportobjekten) für rund 2000 Franken anbot. Die Aborigines warfen Chanel vor, sie würden ihre Kultur ausbeuten mit diesem Luxusobjekt. Chanel sah sich gezwungen, zurück zu rudern und das irritierende Objekt nicht mehr zu verkaufen.
Die Ausstellung im MEN geht noch viel weiter: Sie wirft die Frage nach dem Verhältnis von «wilden» und «gezähmten» Lebensformen auf. Das beginnt bei Rousseau, geht weiter mit King Kong bis zu aktuellen Phänomenen wie «indigenen Superfoods», dem Widerstand gegen Umweltschutzzonen und allerhand Kunstwerken im Spannungsfeld zwischen wilden und modernen Lebensformen.
Musée d’Ethnographie de Neuchâtel: «L’impossible sauvage», bis 26. Februar 2023