Die libidinöse Anhänglichkeit an den Führer

Die Gesellschaft und der Einzelne, das ist das Thema des neuen Buches von Rüdiger Safranski. Das Gegenteil des Einzelnen ist die Masse. Auch Sigmund Freud hat sich damit befasst, auf seine eigene Weise. Die Libido gibt es für Freud nicht nur beim Einzelnen, sondern auch «als Kraft des innigen Zusammenhangs der Masse», schreibt Safranski. Die innere Kraft der Masse entspringe aus der auf die Gesellschaft übertragene Libido. «Das gilt etwa für die libidinöse Anhänglichkeit an den Führer, der als Vaterersatz fungiert», so Rüdiger Safranski. «Solche Führungsfiguren schweissen die Masse zur Horde zusammen, die eifersüchtig darüber wacht, dass niemand ausschert.» Politik sei deshalb «immer auch Bewirtschaftung der gemeinschaftsstiftenden Libido».

Ein Beispiel, das diese These bestätigt, ist der Kult um den Gründer der türkischen Republik Mustafa Kemal Pascha. Er nannte sich Atatürk, also Vater der Türken. Fast hundert Jahre nach der Gründung der Republik ist sein Porträt immer noch an vielen Stellen in Istanbul sichtbar – auf der Strasse, in Restaurants, in Coiffeursalons und so weiter.

Atatürk am Taksim-Platz

Foto: Andreas Gossweiler

Rüdiger Safranski: «Einzeln sein», Carl Hanser Verlag 2021

Über agossweiler

Journalist
Dieser Beitrag wurde unter Theorie veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s