Glücksindustrie: Mehr Schaden als Nutzen

Glück ist ein komisches Wort. Wer möchte nicht gerne glücklich sein? Aber dem Glücklichsein haftet etwas Zufälliges, Unverdientes an. Zudem ahnen viele, dass es kein realistisches Ziel ist, möglichst oft oder dauerhaft glücklich zu sein. Dennoch trifft man diesen Begriff immer häufiger an. Grosse Firmen beschäftigen neuerdings einen «Chief Happiness Officer», und Glücksforscher schreiben tonnenweise Ratgeberbücher. Ein ganzer Zweig der Psychologie will uns bei der Suche nach dem Glück helfen, die sogenannte «Positive Psychologie». Die UNO hat einen «World Happiness Report» erstellt und ermittelt jedes Jahr die «Glücklichkeit» der Bewohner/innen jedes Landes. Togo stieg jüngst auf, Venezuela ab, was nicht erstaunt, wenn man die katastrophalen Verhältnisse in jenem Land kennt. Der 20. März ist der «International Day of Happiness» oder «Weltglückstag».

Die Soziologin Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas untersuchen in ihrem neuen Buch, was hinter der neuen Glücksindustrie steckt. Sie zeichnen die Geschichte der «Positiven Psychologie» nach, die den Fokus auf positive Eigenschaften legen will statt auf psychische Krankheiten. Diese Psychologen wollen einen Weg gefunden haben, um das Glück präzis zu messen: Der «positive Quotient» beträgt genau 2,9013. Er trennt angeblich das seelische «Aufblühen» vom «Dahinwelken».

Für Illouz und Cabanas ist das nur Pseudowissenschaft. Die «Positiven Psychologen» erweisen ihren Klienten laut den Buchautoren einen Bärendienst. Nicht nur seien ihre Berechnungen wissenschaftlich unhaltbar. Die ganze Theorie vom Glück arbeite der neoliberalen Ideologie zu, kritisieren Illouz und Cabanas: Die Glücksrhetorik betone den Individualismus auf Kosten aller sozialen Zusammenhänge. Die «Positiven Psychologen» würden so tun, als ob die Gesellschaft nur eine Anhäufung separater, autonomer Wesen sei. Die wichtige Rolle der Lebensumstände werde ausgeblendet. Der Glücksdiskurs rechtfertige die «meritokratische Unterstellung des Selfmade-Man: Jeder bekommt, was er verdient.»

Für Illouz und Cabanas schadet der Glücksdiskurs mehr, als er nützt. Er fördere die «Ich-Besessenheit», Einsamkeit, Unzufriedenheit und Depressionen. Wer es nicht schafft, glücklich zu werden, empfinde dies als persönliches Versagen. In Unternehmen schaffe die «Positive Psychologie» eine entpolitisierte, psychologisierte Arbeitswelt. Der Glücksdiskurs verbreite den falschen Glauben, jede und jeder könne die eigene Existenz «nach Belieben beherrschen», und man sei für alles verantwortlich, was einem widerfährt. Techniken des «Personal Branding» würden die Arbeitnehmer zur Ware machen. Das forcierte Streben nach Glück könne sich als eine «obsessive, enttäuschende Erfahrung» erweisen. Die mathematischen Berechnungen seien grundfalsch.

Eva Illouz und Edgar Cabanas erklären, es sei nicht korrekt, positive und negative Gefühle so strikt zu trennen, wie es die «Positiven Psychologen» machen: «Weder soziologisch noch psychologisch lassen sich positive und negative Gefühle strikt trennen.» Das Leben bestehe oft aus gemischten Gefühlen, und das sei auch gut so. Gefühle wie Hoffnung und Fröhlichkeit würden nicht immer nur zu positiven Resultaten führen. Andererseits seien Gefühle wie Wut, Frustration und Neid eine wichtige Triebkraft für soziale Verbesserungen. Als Beispiel erwähnen sie die Frauenbewegung. Die Ideologie des Glücks heble das sozialkritische Denken aus, das für den sozialen Fortschritt wichtig ist. Sowieso sei Glück nicht das wichtigste Gut im Leben. Die Glückspsychologen hätten daraus aber ein «mächtiges Instrument» gemacht, mit dem Unternehmen und Institutionen gehorsame Angestellte und Bürger formen können.

Für Illouz und Cabanas ist klar: «Nicht Glück, sondern Erkenntnis und Gerechtigkeit sind der Sinn unseres Lebens.»

Edgar Cabanas, Eva Illouz: «Das Glücksdiktat», Suhrkamp Verlag 2019

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