Am 17. Januar veröffentlichte das Onlinemagazin «Republik» einen langen Artikel zum Thema Prostitution. Titel: «Das perfekte Bordell». Autorin Brigitte Hürlimann wollte in diesem Artikel zeigen, wie man die Arbeitsbedingungen der Prostituierten verbessern und einen «neuen Umgang mit der Prostitution» finden könne. Hürlimann stellt sich ein Haus vor mit moderaten Mietpreisen, einem «breiten Spektrum an Sexarbeiterinnen», Selbstverwaltung und Weiterbildungsangeboten. Also ungefähr ein Bordell, das ähnlich wie eine Genossenschaftsbeiz der 1970er Jahre geführt würde.
Allerdings erinnert der Entwurf weniger an ein «perfektes Bordell», sondern eher an ein Gebäude, das akut vom Zusammenbruch bedroht ist. Die Argumentation enthält zahlreiche Widersprüche, die bezeichnend sind für das Thema:
1) Brigitte Hürlimann stört es, dass «Prostituierte bei uns an den Rand gedrängt werden.» Um das zu ändern, will sie das Bordell «mitten in die Stadt» pflanzen, am liebsten an die Langstrasse. Doch das lehnen die Prostituierten, die Brigitte Hürlimann gefragt hat, ab. Begründung: Die Kunden seien «froh um Diskretion», und es sei am besten, wenn die Nachbarn «nichts davon wissen».
2) Das angedachte Angebot ist irritierend. Im Artikel wird eine Rosamaria zitiert, die «junge Männer behutsam in die Sexualität einführen» möchte. Das wirft einige Fragen auf: Warum sollten junge Männer «Profis» benötigen, um in die Sexualität eingeführt zu werden? Können die das nicht mehr selbst? Und was ist mit den jungen Frauen, haben die keinen Anspruch darauf, in die Sexualität eingeführt zu werden? Hier wird einmal mehr deutlich: Prostitution zielt fast ausschliesslich auf die Befriedigung männlicher Ansprüche ab – die Bedürfnisse der Frauen bleiben aussen vor.
3) Dann geht es um «faire Arbeitsbedingungen». Sprich: Die Prostituierten sollen «alles, aber wirklich alles selber bestimmen können». Hier treten die grössten Widersprüche des Themas offen zutage. In jeder Branche ist es ganz klar, dass Angestellte nicht zu Sex mit Kunden gezwungen werden dürfen. Nur in der Prostitution soll das plötzlich anders sein? Dauernde sexuelle Belästigung während der Arbeitszeit ist mit dem Arbeitsrecht in keiner Weise vereinbar. Und wenn die Frauen zuviele Kunden oder Kundenwünsche ablehnen, sind sie schnell aus dem Geschäft.
4) Am irritierendsten finde ich die Idee, die Prostituierten müssten «als Gewerbetreibende akzeptiert werden». Ihre Kunden seien keine Monster, schreibt Hürlimann, sondern «unsere Arbeitskollegen, Brüder, Partner, Onkel oder Neffen». In diesem Republik-Artikel wird völlig ausgeblendet, was die Partnerinnen der Kunden davon halten, wenn diese zu Prostituierten gehen. Wenn sie es herausfinden, hat das nicht selten traumatische Folgen für die Partnerinnen. Das interessiert die «Republik» nicht.
5) Hürlimann behauptet: «Je mehr Prostituierte auf den Trottoirs auf und ab gehen, desto sicherer wird die Gegend – vor allem für andere Frauen.» Genau das Gegenteil dürfte zutreffen. Denn Prostitution animiert die männlichen Kunden, alle Frauen als Freiwild zu betrachten, die ihnen stets zu Diensten sein sollen.
6) Weiter schreibt Brigitte Hürlimann: «Wir akzeptieren in dieser Vision, dass es eine Nachfrage und ein Angebot nach bezahltem Sex gibt.» Warum sollen wir das akzeptieren? Warum akzeptiert die «Republik», ein Magazin für linke, hippe, urbane Menschen, dieses erniedrigende, vorsintflutliche Ausbeutungsverhältnis, das historisch gesehen direkt von der Sklaverei abstammt? Früher hiess es, auch Sklaverei oder Kinderarbeit entspreche einer Nachfrage. Mit der «Nachfrage» kann man fast alles begründen, aber ist es deshalb ethisch vertretbar?
Fazit: Die Vorstellung eines «perfekten Bordells» klingt wie das «perfekte Verbrechen» oder die «perfekte Ausbeutung». «Perfekt» ist an dieser Idee nichts, die unvermeidlichen inhärenten Widersprüche treten in jedem Abschnitt des Artikels deutlich zu Tage. Brigitte Hürlimann will die «Stigmatisierung» bekämpfen. Aber warum eigentlich? Eine ausbeuterische Situation, die für viele Frauen schädliche Auswirkungen hat und ein vorsintflutliches Frauenbild zementiert, muss doch gar nicht «entstigmatisiert» werden, sondern entschlossen bekämpft, am besten mit einem Sexkaufverbot wie in Schweden. Zudem ist das Vorhaben der «Entstigmatisierung» von vornherein aussichtslos, weil den meisten Leuten bewusst ist, dass Prostitution intrinsisch unethisch und unmenschlich ist.
Unter Journalismus verstehe ich, dass man ein Thema von vielen Seiten beleuchtet, um ein realistisches Bild zu erhalten. Das hat die «Republik» nicht versucht, es war gar nicht das Ziel. Vielmehr erinnert der Artikel über das «perfekte Bordell» an den Versuch, ein umstrittenes Gewerbe publizistisch zu unterstützen. Das ist kein genuin journalistischer Ansatz, sondern gehört eher in die Sphäre des Aktivismus oder des Lobbyismus. Verboten ist das natürlich nicht, aber gehört es wirklich zu den Aufgaben eines jungen, urbanen, hippen Online-Magazins, sich für ein zutiefst patriarchalisch geprägtes Gewerbe einzusetzen, das den Frauen (und auch den Männern) enorm schadet?