Bekanntlich steht der französische Sänger und Komponist vieler unsterblicher tubes Claude François, von seinen Fans liebevoll Cloclo genannt, hinter Frank Sinatras Song «My Way». 1968 hatte François die Melodie unter dem Titel «Comme d’habitude» (mit)komponiert und aufgenommen. Der geschäftstüchtige US-Schlagersänger Paul Anka erwarb die Rechte des Songs und schrieb dazu einen neuen Text. Damit landete Sinatra 1969 einen grossen Hit.
In seinem Buch «Ärger im Paradies» (das seinen Titel einem Film von Ernst Lubitsch verdankt) interpretiert der slowenische Philosoph Slavoj Zizek die beiden Hits auf seine originelle Art:
«Dieses Paar – das französische Original und seine amerikanische Version – ist leicht als ein weiteres Beispiel für den Gegensatz zwischen sterilen französischen Manieren und dem amerikanischen Erfindungsreichtum zu begreifen: Die Franzosen folgen etablierten Gewohnheiten, während Amerikaner nach neuen Lösungen suchen.»
Nun ja, wenn man die Songtexte anschaut, erscheint Zizeks Interpretation zwar nicht falsch, aber doch relativ stark abstrahiert. Das eigentliche Thema von Claude François‘ Chanson ist nicht ein Lobgesang auf bewährte Gewohnheiten, sondern eine handfeste Paar- und Sinnkrise. Der Sänger beschreibt, wie er beim Aufstehen «prèsque malgré moi», also «fast widerwillig» die Haare seiner Partnerin streichelt. Eben aus Gewohnheit. Während seine Partnerin ihn scheinbar abweisend behandelt: «Mais tu me tournes le dos, comme d’habitude». Traurig schlurft er aus dem Haus und tritt in eine nicht weniger trostlose Umgebung: «Tout es gris dehors, comme d’habitude». Der Ich-Erzähler ist gefangen in Konventionen, die für ihn nicht mehr stimmen: «Toute la journée je vais jouer à faire semblant, comme d’habitude…. même la nuit, je vais jouer à faire semblant, comme d’habitude».
Der Sänger zeichnet das Bild eines Mannes, der zwar etablierten Gewohnheiten folgt, aber mit offensichtlicher Unzufriedenheit. Diese Tendenz fehlt in Zizeks Interpretation. Hingegen ist «My Way» einfach zu begreifen und von Zizek korrekt zusammengefasst – der US-Sänger blickt auf ein erfülltes Leben zurück, in dem er angeblich alles «my way» erledigt hat. Während der französische Sänger an seinem Lebensentwurf zweifelt, kleistert sein amerikanischer Kollege alles zu mit einer protzigen Selbstgewissheit, ohne sich lange mit Selbstkritik aufzuhalten: «Regrets, i’ve had a few, but then again, too few to mention.» Krisen gabs vielleicht dann und wann, aber sie sind nicht der Rede wert.
Zizeks Interpretation geht noch einen Schritt weiter, indem er die (vermeintliche) Bedeutung beider Songs zusammendenkt:
«Um in der Lage zu sein, es „my way“ zu tun, muss sich jeder von uns auf eine Menge Dinge verlassen können, die „comme d’habitude“ funktionieren. Eine Menge Dinge müssen reguliert werden, wenn wir unsere nichtregulierte Freiheit geniessen wollen.»
Das ist ein spannender Gedanke, auch wenn Zizek die Bedeutung des französischen Songs etwas strapaziert hat.
Es gibt eine dritte Version, die Slavoj Zizek nicht erwähnt. Der junge, aufstrebende Sänger David Bowie verfasste vor Paul Anka eine englische Version: «Even a Fool Learns to Love», ein Song über einen traurigen Clown, dessen Liebe nicht erwidert wird. Anscheinend fand Frank Sinatra keinen Gefallen an Bowies lyrics. Mit geänderter Melodie und einem neuen, surrealistischen Text nahm Bowie den Song 1971 auf als «Life on Mars». Kokett schrieb Bowie auf die Plattenhülle: «Inspired by Frankie».
Slavoj Zizek: «Ärger im Paradies. Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus», S. Fischer Verlag 2015