Mediengewerkschaften und Digitalisierung

«Kürzlich beklagte sich ein Journalist auf dem Twitter-Account unserer Gewerkschaft, dass Syndicom die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Medien verschlafen habe.» Das schreibt Nina Scheu, Chefredaktorin der Syndicom-Zeitung im Editorial der neuen Ausgabe. Der Journalist war ich. Es freut mich, dass ich jetzt weiss, dass ich die Ehre hatte, mit Nina Scheu auf Twitter zu diskutieren. Leider ist auf dem Syndicom-Twitter-Account nicht ersichtlich, welche Person ihn betreut (Wink mit dem Zaunpfahl).

In der Tat würde ich mir wünschen, dass sich eine Mediengewerkschaft kritisch(er) auseinandersetzt mit der Digitalisierung, die im Medienbereich bekanntlich zu einem massiven Stellenabbau geführt hat. Und ein massiver Stellenabbau ist ein Thema par excellence für jede Gewerkschaft. Doch wenns um die jobfressende Digitalisierung der Medien geht, hält sich Syndicom für meinen Geschmack zu sehr zurück.

Die neue Nummer der Syndicom-Zeitung zeigt anschaulich, um was es geht. Im Editorial schreibt Nina Scheu: «Mit Fahnenschwingen und Artikelschreiben nehmen wir keinen Einfluss auf den technologischen Wandel.» Mit dem Fahnenschwingen kenne ich mich nicht so gut aus. Aber ich bin entschieden der Meinung, dass Journalisten zumindest den Anspruch haben sollten, dass sie mit ihren Texten Einfluss nehmen können – auf ganz verschiedene Entwicklungen, warum nicht auch auf den technologischen Wandel. Oder zumindest auf die Art, wie wir über den Wandel nachdenken. Damit wäre schon viel gewonnen. Wenn man von vornherein annimmt, man könne mit Texten sowieso keinen Einfluss nehmen, hat man verloren und schwingt, um die Fahnen-Metapher aufzugreifen, die Fahne der Kapitulation. Klar wird ein Konzern wie Google nicht umgehend den Laden zumachen, wenn ein Journalist einen kritischen Google-Artikel schreibt, aber das ist ja auch nicht das Ziel.

Weiter im Text: «Nicht die Technik ist schuld an der Misere, sondern jene, die sie menschenfeindlich einsetzen.» Da besteht Diskussionsbedarf. Seit Marshall McLuhan wissen wir: Das Medium ist die Botschaft. Leider ist McLuhans Werk in Vergessenheit geraten, obwohl seine Thesen nach wie vor aktuell sind. In den «sozialen Medien» würden sich «Räume für neue Geschäftsmodelle öffnen», schreibt Nina Scheu. Das verstehe ich nicht: Welcher Journalist hat jemals mit Tweets oder mit Facebook-Einträgen Geld verdient? Ich kenne keinen. In meiner Wahrnehmung tragen die «sozialen Medien» zum Gratiskonsum bei und damit zur Erosion des Geschäftsmodells der Zeitungen.

«Statt die Digitalisierung zu diabolisieren, müssen wir lernen, sie für positive Ziele einzusetzen», fordert die Chefredaktorin im letzten Abschnitt. Dazu möchte ich sagen: Es gibt einen Unterschied zwischen kritischem Denken und «Diabolisierung». Kritik als Verteufelung abtun, ist eine rhetorische Form, der man immer wieder mal begegnet. Ich für meinen Teil habe mich nie als Maschinenstürmer verstanden. Technik für positive Ziele einsetzen: Wer möchte das nicht? Ich mache das mit meinem Blog, beispielsweise. Und auch bei meiner Arbeit als Journalist. Das ist aber kein Grund, um die technologische Entwicklung nicht mit kritischen Augen zu beobachten.

Bei anderen Themen zeigt sich Syndicom viel angriffiger. Zum Beispiel hat die Gewerkschaft die geplante Sonntagsauslieferung von Einkäufen per Taxi durch Coop kritisiert. Oder auch das Auslagern von Jobs der Post an Subunternehmer. Ich würde mir nach wie vor wünschen, dass Syndicom auch die Mediendigitalisierung vermehrt aus der Perspektive der Kolleg/innen wahrnimmt, die ihre Jobs verloren haben oder noch verlieren werden. Die neue Syndicom-Nummer ist für mich diesbezüglich enttäuschend. Auf einer Doppelseite interviewt ein Syndicom-Redaktor eine «Social-Media-Spezialistin» von Radio Télévision Romande, die sich begeistert über die Möglichkeiten des Internets äussert (was ihr als Mitarbeiterin eines gebührenfinanzierten Senders verständlicherweise nicht allzu schwer fällt), wobei der Interviewer leider auf kritische Fragen weitgehend verzichtet. Im unteren Teil beleuchtet Medienjournalist Nick Lüthi den Einfluss der Digitalkonzerne auf die Medienverlage. Er tut dies in einem nüchternen Duktus, dagegen ist nichts einzuwenden.

Aber eben: Ich vermisse auf dieser Doppelseite einmal mehr die kämpferische Haltung einer Gewerkschaft, die sich bei anderen Themen wie Sonntagsverkäufen oder Outsourcing immer wieder profiliert.

Über agossweiler

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