Manche Filmmelodien sind stärker als der Film, zu dem sie komponiert wurden. Die Musik zu «The Misfits» ist so ein Fall. Ich kannte sie lange, bevor ich den Film sehen konnte. Ungefähr 1983 hörte ich sie am Radio und war sofort beeindruckt von der melancholischen Melodie, die mit Halbtönen absteigt, so dass sofort klar ist: Die Geschichte geht nicht gut aus. Es war für die beiden Hauptdarsteller Marilyn Monroe und Clark Gable der letzte Film, bei dem sie mitmachten.
Irgendwann kaufte ich die LP mit der von Alex North komponierten Filmmusik. Die Einspielung ist grossartig. Dennoch war ich ein wenig enttäuscht. Denn die Musik, die ich am Radio gehört hatte, klang anders. Auf der LP dirigiert Alex North ein klassisches Orchester, die Melodie wird von Streichern gespielt. Das klingt eindrücklich, keine Frage. Doch die Version, die ich im Radio gehört hatte, bestach durch einen fast ausserirdischen, seltsamen Klang. Leider war dieser Klang auch im Film nirgends zu hören. Doch wo zum Teufel kam diese Musik her?
Erst gestern, dreissig Jahre nach dem Radioerlebnis, kam ich dem Rätsel auf die Spur. Nach einer längeren Youtube-Recherche fand ich die Version der Filmmusik, die der amerikanische Arrangeur Don Costa 1961 aufgenommen hatte. Hier war er wieder, der seltsame Klang. Aber wie hat Costa das hingekriegt? Ich richtete eine verzweifelte Frage an meine Twitterfollower. Ich hab ja jetzt 1000 Follower, unter denen könnte vielleicht einer die Antwort kennen. Und tatsächlich. Gustavo Salami, Inhaber der Social-Media-Agentur Kuble, schrieb zurück: «Der Anschlag hört sich sehr nach einer Gitarrensaite an.» Das stimmt schon, aber der Sound ist ganz anders, erinnert eher an eine Art Orgel, ich stellte mir einen frühen Synthesizer vor in der Art der Ondes Martenot.
Dann meinte Gustavo Salami, dass die Gitarre vielleicht an ein Leslie angeschlossen war. Ein Leslie war eine Art Propeller im Lautsprecher, den Orgelspieler zuschalten konnten, um dem Klang zusätzliche Dramatik zu verleihen. Es ensteht dabei auch ein Tremolo-Effekt. Ein Vergleich mit einem Video, das Gustavo fand, bei dem jemand spasseshalber «Stairway To Heaven» auf einer an ein Leslie gekoppelten Gitarre spielte, zeigt: Der Klang ist derselbe wie auf Don Costas Version. Zweifellos hat Don Costa eine Gitarre mit Leslie verwendet. So entstand der entrückte, fast feierliche Klang. Nach dreissig Jahren war das Rätsel endlich gelöst. Don Costa kann man leider nicht mehr fragen, wie er das gemacht hat. Er war – ebenfalls anno 1983 – an einem Herzinfarkt gestorben.