Döpfners Mühe mit der Medientheorie

«Warum der Journalismus von der digitalen Revolution profitiert»: So lautete der Titel des Vortrags, den Springer-Chef Mathias Döpfner am Mittwoch an der ETH hielt. Zwar haben Internet-Theoretiker wie Evgeny Morozov längst plausibel gezeigt, dass die Digitalisierung der Medienproduktion keine «Revolution» ist. Dennoch ist es schön, dass auch Digital-Apostel nicht auf das gute, alte Format des mündlichen Vortrags verzichten mögen.

Auch abgesehen vom Revolutions-Diskurs enthält Döpfners Referat einige Denkfehler. Wie der Tages-Anzeiger berichtet,  forderte Döpfner, die Zeitungen müssten sich «vom Papier emanzipieren – entsprechend dem Motto „Der Geist bestimmt die Materie und nicht die Materie den Geist“.»

Der Springer-Chef setzt also die Medienformate wie Papier oder Internet-Plattformen mit der «Materie» gleich und den Content, also Texte, Fotos und so weiter, mit «Geist». Das greift viel zu kurz. Die Medientheorie zeigt, dass die Realität kompexer ist. Döpfner ignoriert das berühmte Diktum von Marshall McLuhan: «The medium is the message.» Das heisst: Die harte Trennung zwischen Medium (oder Materie) und Botschaft (oder Geist) ist falsch. Die Beschaffenheit des Mediums beeinflusst den Geist stark. Ob ich eine Botschaft im Fernsehen, im Internet oder in einer gedruckten Zeitung wahrnehme, ist keineswegs egal. Und es ist deshalb nicht egal, ob ein Text gedruckt wird oder im Internet erscheint.

Warum es nicht egal ist, zeigt der weitere Verlauf des Referats deutlich. Döpfner zählte die Eigenschaften der Internet-Publizistik auf, die seiner Meinung nach «Vorteile» sind. Nüchtern betrachtet, haben diese Eigenschaften auch grosse Nachteile:

1. Die Textlängen in Internetmedien sind laut Döpfner «völlig flexibel», weil sie nicht auf eine Zeitungsseite passen müssen. Das stimmt nur theoretisch. Denn auch im Internet passen Journalisten die Länge der Texte zwangsweise der Relevanz des Themas an. Die vermeintliche «Flexibilität» ist deshalb kein Gewinn an Freiheit. Der unbegrenzte Platz im Internet kann dazu führen, dass Journalisten vergessen, dass die Aufnahmefähigkeit des Publikums begrenzt ist. Das Resultat: Überlange Riemen, die niemand lesen mag.

2. Onlinejournalisten seien «in zeitlicher Hinsicht viel beweglicher», schwärmt Döpfner: «Sie können ihre Texte schnell publizieren oder aber sich mehr Zeit nehmen und mehr Hintergrund und Tiefgang bieten.» Auch diese Behauptung hält einem Abgleich mit der Realität nicht stand. Die Tendenz ist klar: Online verführt ganz klar zum schnellen Publizieren. Darunter leidet die Qualität.

3. Den Onlinejournalisten stehen laut Döpfner «weitaus mehr kreative Möglichkeiten offen: die ganze Palette an Film-, Video- und Tonträgern.» Auch beim Thema Multimedia hilft eine nüchterne Perspektive. Die Kombination von Texten und Filmen erhöht nicht automatisch die Kreativität der Journalisten – das geschieht nur, wenn sie die technischen  Mittel gekonnt einsetzen. Doch wenn ein Printjournalist nebenbei noch ein Filmchen dreht, hat das mit Kreativität wenig zu tun, sondern mehr mit Dilettantismus. Davon hat das Publikum nichts.

4. Onlinejournalismus sei «intelligenter», weil sich Fehler sofort korrigieren lassen: Auch das ist ein zweischneidiges Schwert. Denn Korrekturen sind für das Publikum nicht sichtbar, die Grenze zur Manipulation ist unscharf. Und die Möglichkeit, einen Text auch nach der Publikation verändern zu können, zwingt nicht zum präzisen Arbeiten, sondern verführt zur Nachlässigkeit: Man kanns ja nachher sowieso jederzeit noch korrigieren.

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