Gestatten: Jacques Duvall, parolier

Illustration: Jampur Fraize aus dem Buch «Jacques Duvall, le contrebandier de la chanson»

Illustration: Jampur Fraize aus dem Buch «Jacques Duvall, le contrebandier de la chanson»

Das Kleingedruckte auf Platten fand ich immer spannend. Auf der ersten LP der belgischen Sängerin Lio (die den unsterblichen tube «Banana Split» enthält), steht «Paroles: Hagen Dierks». Auf der zweiten LP schrieb dann ein gewisser Jacques Duvall die Texte. Ich wusste damals nicht, dass hinter beiden wohlklingenden Pseudonymen die gleiche Person stand. Einige Musikkritiker jubelten, endlich habe Lio den unfähigen Dierks, der alberne Texte über Bananen geschrieben habe, gegen einen vernünftigen «parolier» eingetauscht. Auch für zahlreiche andere französische Sängerinnen und Sänger wie Alain Chamfort, Marie France oder Jane Birkin schrieb Dierks beziehungsweise Duvall Songs mit fantasievollen Wortspielen und einer oft melancholischen, manchmal leicht zynischen Stimmung.

«Souris puisque c’est grave / seules les plaisanteries doivent / se faire dans le plus grand sérieux» schrieb Duvall für Chamfort. Diese Zeilen fassen seine Grundstimmung ziemlich gut zusammen. Sind das leicht hingeworfene Worte, oder ist es grosse Kunst? Egal, jedenfalls schrieb Jacques Duvall die perfekten Texte für seine Interpret/innen. Für Lio textete er eine Kampfansage an den Blondinenmythos: «Attention aux brunes, les brunes comptent pas pour des prunes.» Das war in den 1980er Jahren. Später wurden die Zeiten schwieriger für Duvall. Alain Chamfort wurde von seiner Plattenfirma rausgeschmissen, und Lio sang Texte eines anderen grossen Jacques, aber aus einer anderen Generation: Jacques Prévert.

Schnitt. Der junge belgische Musiker Benjamin Schoos verschaffte Duvall zu einer zweiten Karriere. Seit 2006 produzierte Schoos auf seinem Label Freaksville Records etliche Platten mit unterschiedlichen Interpreten, darunter auch Lio, bei denen Jacques Duvall als «parolier» mitarbeitete. Schoos brachte sogar drei Platten heraus, auf denen Duvall seine Songs selber sang. Fröhlicher ist er nicht geworden, im Gegenteil präsentiert er sich auf seiner neuesten CD als «Expert en désespoir», aber er brilliert immer noch mit witzigen Reimen: «Compte pas sur l’amour / C’est pas conçu pour /égayer le parcours».

Und um das Glück der Duvall-o-philen zu vervollständigen, ist jetzt bei einem kleinen belgischen Verlag auch ein schön gestaltetes Buch erschienen, das Duvalls Arbeit seit den 1980er Jahren erzählt und kommentiert, in einer irritierend kleinen Auflage von 500 Exemplaren. Das Buch gibt schlüssige Antworten auf Fragen wie derjenigen, ob Duvall der neue Gainsbourg ist. Fast das Wichtigste: Beim Lesen wird klar, wie sehr die Musikproduktion ein Teamwork ist. Nimm zum Beispiel «Banana Split»: Gesungen wurde es von Lio, die Musik komponierte Jay Alanski, der Text stammt von Hagen Dierks / Jacques Duvall, und der Computertüftler Dan Lacksman programmierte den Synthesizer. Unmöglich zu sagen, wer den wichtigsten Beitrag leistete. Alle machten das, was sie am besten können. Duvall kann zwar auch singen, aber weniger gut als Lio. Als «parolier» ist er so gut wie kein Zweiter.

Autorenkollektiv: «Jacques Duvall, le contrebandier de la chanson», Editions du Caïd 2014

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