Misslungener Versuch, «Native Advertising» zu rechtfertigen

Das sogenannte «Native Advertising» der neuen Newsplattform Watson ist umstritten. «Native Advertising», so wie es Watson praktiziert, bedeutet, dass eine Firma Geld bezahlt für einen Artikel. Dieses Angebot ist in dieser Form neu. Bisher galt bei den meisten Zeitungen und Zeitschriften, dass die strikte Trennung zwischen dem Inserateteil und dem redaktionellen Teil heilig ist.

Immer wieder versucht Watson-Mitarbeiter Philipp Meier, das «Native Advertisting» damit zu rechtfertigen, dass es transparent sei. Meier behauptet, dass andere Medien ebenfalls Artikel gegen Geld veröffentlichen würden, aber ohne es zu deklarieren. In einem thematisch recht sprunghaft aufgebauten Artikel auf Watson versucht Meier, das «Native Advertisting» als «Ansatz einer Lösung» darzustellen, um die «abhanden gekommene Glaubwürdigkeit des Journalismus» zu reparieren.

Stimmt das? Nein – das Gegenteil ist der Fall. Das «Native Advertising» ist nicht die Lösung, sondern führt den Journalismus direkt in Teufels Küche. Denn für die Watson-Leser ist es nur schwer zu erkennen, dass eine Firma Geld bezahlt hat für einen Text, der als «Native Advertising» erstellt wurde. Die grafische Gestaltung der «Native Ads» gleicht einem normalen Watson-Artikel wie ein Ei dem anderen. Das Layout ist genau gleich gestaltet. Zwar steht über den «Native Ads» in kleiner Schrift: «Präsentiert von der Firma XY», und drunter: «Dieser Artikel wurde von der watson-Redaktion erstellt und ermöglicht durch die Firma XY». Aber dass die Firma XY Geld bezahlt hat, erfahren die Watson-Leser nicht. Die von Philipp Meier beschworene Transparenz ist also überhaupt nicht hergestellt.

Das Gegenteil trifft zu: Weil die «Native Ads» optisch nicht von regulären Watson-Artikeln unterscheidbar sind, bekommt die gesamte News-Plattform ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Leser können nur, wenn sie mit der Lupe hingucken, erkennen, ob es sich um redaktionellen Inhalt handelt oder um einen PR-Text. Und die Watson-Redaktoren, die die «Native Ads» schreiben müssen, werden zu PR-Textern degradiert. Kurz gesagt: Mit den «Native Ads» bricht Watson mit voller Absicht die in den meisten Medien bisher festen Dämme zwischen Redaktion und Werbung ab.

Wie steht es mit anderen Medien, denen Philipp Meier verdecktes «Native Advertising» unterstellt? Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass diese Unterstellung nicht zutrifft. Zwar ist längst bekannt, dass Autohersteller und Reisebüros grosszügige Naturalleistungen bieten. Doch dergleichen kommt nur beim Reise- und des Autojournalismus vor, und die Kritik an dieser Praxis ist fast so alt wie die Naturalleistungen. In seinem Artikel deutet Meier an, dass kürzlich erschienene Artikel im Tages-Anzeiger und in der NZZ über ein Kunstwerk im Schaufenster eines Kleidergeschäfts eventuell gesponsert sein könnten. Natürlich kann Meier das nicht beweisen, denn er hat nicht recherchiert, ob sein happiger Vorwurf zutrifft. Deshalb bleibt er sehr vage: «Das sind scheinbar unbestritten journalistische Texte, wie sie täglich zigmal veröffentlicht werden. Es scheint irrelevant zu sein, ob und in welchem Ausmass dabei PR-Texte übernommen wurden. Die Unabhängigkeit des Journalismus scheint gewahrt zu sein.» Mit anderen Worten: Philipp Meier streut Gerüchte, statt Fakten zu präsentieren. Kein sauberes journalistisches Vorgehen. Den Beweis für seine immer wieder repetierte These, dass auch traditionelle Medien verdecktes «Native Advertising» praktizieren würden, bleibt Meier schuldig.

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