Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät hat wieder mal mit einem öffentlichen Auftritt eine Kontroverse ausgelöst. Um zwei Witze zu reissen, holte Tschäppät das alte Klischee aus der Mottenkiste von den Südländern, die angeblich weniger arbeitsam seien als Nordländer. Ich verstehe alle Südländer, die diese Witze nicht lustig finden. Ich finde die Witze auch nicht lustig. Zwar haben die Italiener und die Secondos und Secondas in der Schweiz heute ein gutes Image – oder besser gesagt: sie haben sich ein gutes Image erarbeitet, und zwar durchaus hart erarbeitet. Aber die unselige Zeit, in der viele Schweizer den Italienern mit Misstrauen begegneten und Vorurteile hegten, liegt leider nicht weit zurück. Deshalb ist es unsensibel und auch unnötig, derartige Witze zu ersinnen, wie es Tschäppät tat. Sogar die italienische Zeitung La Repubblica titelte: «La Svizzera rispolvera il razzismo» (wörtlich übersetzt: «Die Schweiz entstaubt den Rassismus»). Na bravo, Herr Tschäppät.
Die Kritik an den Witzen ist berechtigt. Mich irritiert nur ein Punkt an dieser Kritik. Zum einen haben in sozialen Medien wie Twitter diverse Akteure in den Chor der Kritiker eingestimmt, die selber zahlreiche ausländerfeindliche Tweets verfasst haben. Diese Kritiker haben deshalb ein akutes Glaubwürdigkeitsproblem.
Komplexer ist der Sachverhalt bei denjenigen Kritikern, die Tschäppäts Parteizugehörigkeit erwähnt haben. Ihre Argumentation lässt sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Weil Tschäppät in der SP sei, würden seine Parteigenossen es nicht wagen, ihn zu kritisieren. Wenn ein konservativer Politiker wie Ueli Maurer ähnliche Witze reissen würde, wäre die Empörung viel grösser gewesen. Diese Argumentation finde ich falsch. Denn Alexander Tschäppät ist zwar Mitglied einer Partei, welche der Linken zugerechnet wird – aber der Berner Stapi ist nicht die personifizierte Linke (und er ist noch viel weniger «la Svizzera»). Er ist ein eigenwilliger Politiker, der bekannt ist für provokative Auftritte, vergleichbar mit einem Oskar Freysinger.
Die Argumentation der Kritiker geht noch weiter. Ein Twitterer gab zu bedenken, es sei schlimmer, wenn ein SP-Politiker rassistische Witze reisse als wenn ein konservativer Politiker solches tue. Denn der konservative Politiker spiele sich nicht als Galionsfigur der political correctness auf, sondern gebe lediglich seine Meinung kund
An diesem Punkt kann ich der Kritik nicht mehr folgen. Ich finde, man sollte Politiker in erster Linie an ihren politischen Taten messen, nicht an zwei schlechten Witzen. Und bezüglich Ausländerpolitik ist die SP zweifellos das falsche Ziel für Kritik, denn sämtliche ausländerfeindlichen Vorlagen wie die Minarett-Initiative oder die Ausschaffungsinitiative wurden von der anderen Seite des politischen Spektrums ersonnen und von der SP bekämpft.
Deshalb ist es falsch, die Berner SP-Mitglieder dafür zu kritisieren, dass sie ihren Stapi weniger heftig in den Senkel stellen, als sie dies bei konservativen Politikern tun, welche ausländerfeindliche Dinge sagen. Denn – bei aller berechtigten Kritik an Tschäppäts Witzen – sollte man bedenken, dass die ausländerfeindliche politische Strömung, die in der Schweiz in den letzten Jahren leider grossen Erfolg hatte, viel grössere Schäden angerichtet hat als ein einzelner Auftritt eines einzelnen SP-Politikers.
Andernfalls wirkt die Kritik an Tschäppät ein wenig geschmäcklerisch.
Wie Du selber schreibst, sind diese Witze von AT unsensibel und klischeehaft. Da diese im Rahmen eines vorbereiteten (und wohl eingeübten) Auftritts im Rahmen einer unpolitischen Veranstaltung gefallen sind, ist anzunehmen, dass sich der Urheber sehr wohl etwas dabei überlegt hat und diese geschmacklosen Pointen bewusst gesetzt hat. Gerade bei einem Vertreter einer Partei, welche sich immer wieder auch für die Rechte der Secondos, vereinfachte Einbürgerungen, Ausländerstimmrecht etc. einsetzt, wirken solche Äusserungen dann doch äusserst deplatziert. Wie in einem solche Kontext dann ernsthaft behauptet werden kann, dass AT genau als Mitglied einer solchen Partei milder zu behandeln sei, ist mir ehrlicherweise ein Rätsel. Rassistische Klischees bleiben solche, unabhängig vom Absender.
Patrick Seemann > In meinem Blogtext steht nirgends, man solle Tschäppät «milder behandeln». Mich stört nur die Argumentationslinie, dass Parteigenossen Tschäppäts Witze weniger streng beurteilen würden als rassistische Sprüche von rechts. Dieser Argumentation hielt ich entgegen, dass politische Taten wichtiger und folgenreicher sind als Witze. Zweifellos darf und soll man diskriminierende Witze kritisieren. Aber es ist inkonsequent, wenn Leute Tschäppät kritisieren, die selber rassistische Tweets schreiben – und Leute, die sich täglich rassistische Tweets in ihrer TL zu Gemüte führen, ohne dagegen zu protestieren.
Ich finde es bedenklich das solche Leute dann noch als Stadtpräsident amtieren dürfen, denn wer solche Aussagen in der Öffentlichkeit macht der mit Sicherheit im Privatleben noch weniger bedacht sich solche Bemerkungen über Ausländer zu verkneifen.
Solche Vorbilder braucht es nicht und das solche Aussagen von einem Linken Politiker kommen erstaunt noch mal um einiges mehr.
Reto Joel Marolf
„… sollte man bedenken, dass die ausländerfeindliche politische Strömung, die in der Schweiz in den letzten Jahren leider grossen Erfolg hatte, viel grössere Schäden angerichtet hat als ein einzelner Auftritt eines einzelnen SP-Politikers.“
Da wäre es doch ganz interessant zu wissen, was denn das für Schäden sind? Wurde die Schweiz dadurch für Ausländer weniger attraktiv? Wohl kaum. Also, wo sind die Schäden? Gerne mal ein paar Fakten und Zahlen statt nur Behauptungen.
Die Schäden sind unter anderem folgende: Die ausländerfeindlichen Vorurteile in grossen Teilen der Bevölkerung wurden gezielt geschürt. Die Gesetzgebung wurde durch teilweise irrationale Ideen in eine Richtung gelenkt, die dem Image der Schweiz im Ausland geschadet hat (Minarettinitiative, Ausschaffungsinitiative). Rassismus wurde für grosse Teile der Bevölkerung schon fast salonfähig. Die Ausländer, die in der Schweiz leben, werden mit Vorurteilen und Ablehnung konfrontiert, teilweise auch mit physischer Gewalt. Tatsächlich wurde die Schweiz dadurch für Ausländer weniger attraktiv – es ist bekannt, dass viele Deutsche wieder nach Deutschland zurück kehren, weil sie vom frostigen Klima in der Schweiz enttäuscht sind.
Physische Gewalt? Naja … Jedenfalls würde ich mir mit einer Nettozuwanderung von 80’000 Menschen pro Jahr nicht allzu viele Sorgen machen, dass plötzlich kein einziger Ausländer mehr hierherkommen will, weil wir ja alle Rassisten und Ausländerfeinde sind – ausser vielleicht ein paar SP-Gutmenschen.
Meleana > Es gibt zum Glück sehr viele Schweizer/innen, die keine Rassisten sind – die meisten davon sind nicht SP-Mitglieder.
Dann löst sich ja alles in Minne auf. Gut so und schönen Abend.