«Weltwoche statt Welttwitter»: Mit diesem Kalauer mokierte sich Viktor Giacobbo gestern über den Medienmanager und Weltwoche-Autor Kurt W. Zimmermann. Was war geschehen? Patrik Müller, Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag», hatte ein Porträt des SaS-Verlegers Peter Wanner, das Zimmermann für die Weltwoche geschrieben hatte, im Original-Layout via Twitter veröffentlicht. Zum Missfallen von Zimmermann. Der twitterte zurück: «Mir ist wichtig, dass meine Texte nicht freigeschaltet sind. Mein Copyright. Dann twitterst Du sie durch die Welt. No good.»
An diesem Punkt schaltete sich der SRF-Satiriker Viktor Giacobbo in die Diskussion ein. «Als Dank für Kurt W. Zimmermanns Medienkommentare sollte ihm jetzt jemand die Twitterwelt erklären.» Mit anderen Worten: Giacobbo stellt sich auf die Seite jener, die der Meinung sind, das Internet sei dafür da, um das Copyright zu missachten und alle möglichen kulturellen Werke zu kopieren und zu verbreiten, ohne die Autor/innen um Erlaubnis zu fragen, geschweige denn, ihnen die geschuldeten Tantiemen zu überweisen.
Es entspannte sich eine Twitter-Debatte, die der Medienjournalist Nick Lüthi mit Storify teilweise dokumentiert hat. Der Vollständigkeit halber: Patrik Müller antwortete Zimmermann: «That’s Twitter. Welcome.» Und was in Lüthis Dokumentation ebenfalls fehlt: Zimmermann antwortete: «Ich glaube, man kann mit digitalem Fortschritt (Twitter) nicht jeden ethischen Zerfall (geistiges Eigentum) legitimieren.»
Damit wurde ein Anglizismus mit einem anderen Anglizismus beantwortet: «No good» oder «Welcome» – wer hat recht? Weil die Schweiz bis ganz hinauf zum Bundesrat sehr lasch mit Urheberrechtsverletzungen im Internet umgeht (es gibt nicht umsonst das Bonmot «Urheberrechts-Guantanamo»), kann diese Frage vorläufig nicht juristisch geklärt werden. Ich bin der Meinung, dass Twitter kein Freipass ist, um das Urheberrecht zu missachten. «That’s Twitter» ist in diesem Zusammenhang keine verifizierbare Aussage. Denn der Umstand, dass manche Twitter-Benützer, allen voran der anonym auftretende @KueddeR, systematisch das Urheberrecht aushebeln, sagt nichts aus über die juristische Situation.
Was ist von Viktor Giacobbos Intervention zu halten? Giacobbo ist beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF angestellt. Sein Lohn wird von den Gebühren gespiesen, die alle Konsumenten jeden Monat zu bezahlen haben. Ich finde das richtig. SRF ist eine Institution, die das Land zusammen hält. Ich finde es aber nicht richtig, dass ein SRF-Mitarbeiter Copyright-Verletzungen bagatellisiert. Für einen SRF-Mitarbeiter wie Giacobbo ist es einfach, die «Twitterwelt» als Paradies für Raubkopierer zu sehen. Denn die Billag-Gebühren fliessen jedes Quartal – unabhängig davon, wie viele Twitterer einen Sketch von Giacobbo raubkopieren.
Anders ist es für Printjournalisten. Es ist klar, dass die Verkaufszahlen der Zeitungen und Zeitschriften sinken, wenn viele Internet-Benützer via Twitter Artikel gratis unter die Leute bringen. Deshalb finde ich es korrekt, dass sich Kurt W. Zimmermann dagegen wehrt. Und ich finde es unfair, dass sich ein Viktor Giacobbo, dessen üppiger – und wohlverdienter – Lohn nicht vom Raubkopierwesen tangiert ist, auf die Seite der Piraten stellt.
Update 16.1. In der neuen Weltwoche schreibt Kurt W. Zimmermann, dass er das Vertwittern seiner Artikel mit rechtlichen Schritten gestoppt hat. Kurt W. Zimmermann begründet sein Vorgehen wie folgt: «Das Urheberrecht gehört zu den grossen Errungenschaften unserer freiheitlichen Zivilisation. (…) Das Internet hat urheberrechtlichen Wildwest geschaffen. Jeder schreibt bei jedem ab, und jeder klaut bei jedem. (…) Twitter verführt zur Hehlerei. (…) Das Internet hat bereits die Privatsphäre des Individuums niedergetreten, nun ist es drauf und dran, auch das geistige Eigentum des Individuums zu zerschlagen. (…) Ich glaube nicht daran, dass man die neue Medienwelt gewinnt, wenn man die Kulturgüter der alten Medienwelt zerstört.» Dem ist aus meiner Sicht nichts beizufügen. Ich bin absolut einverstanden mit Kurt W. Zimmermanns Protest. Höchste Zeit, dass sich endlich ein Urheber wehrt.
Kannst Du mir erklären, inwiefern die Schweiz lasch mit Urheberrechtsverletzungen umgeht? Es gibt in der Schweiz ein gültiges Urheberrecht. Dieses ist eingebetet in internationale Verträge. Mir wäre kein Fall bekannt, in welcher in der Schweiz ein Urheber seine Rechte, die ihn per Gesetz zugesichert sind, nicht hätte durchsetzen können. Was soll denn „Unheberrechts-Guantanomo“ bedeuten? Was genau willst Du damit sagen.
Gerne, Andreas. Der Begriff «Urheberrechts-Guantanamo» wurde bekanntlich von Musiker/innen geprägt, die damit aufmerksam machen wollten auf die Tatsache, dass der Bundesrat nichts machen will gegen illegale Downloads von Musik und Filmen. Wir haben in der Schweiz auch kein Leistungsschutzrecht. Diese – wie gesagt sehr laschen – Rahmenbedingungen bestärken Piraten und Raubkopierer in ihrem Glauben, dass sie frei seien, im Internet nach Lust und Laune das Urheberrecht zu missachten, ohne dass jemand aufmuckt. Das «Durchsetzen der Rechte» ist in diesem Umfeld illusorisch.
Das ist mir zu wenig Fleisch am Knochen. Was soll die Referenz auf Guantanamo bedeuten? Und warum das Urheberrecht bei uns lasch sein soll, hast Du auch nicht beantwortet. Es gibt ein Schweizer Urheberrecht, welches in internationale Verträge eingebunden ist. Gegen Verstösse gegen dieses Urheberrecht kann ohne Probleme rechtlich vorgegangen werden und dies wird auch getan. Patrick Müller hat mit grosser Wahrscheinlichkeit gegen geltendes Schweizer Urheberrecht verstossen und die Weltwoche und/oder Kurt. W. Zimmermann könnten sehr wohl gehen ihn vorgehen. Die Frage, ob das sinnvoll ist, ist natürlich eine andere.
Der Begriff «Urheberrechts-Guantanamo» ist zunächst ein provokativ formulierter Hinweis auf ein Problem, das sich auf den Ebenen der Politik, des Rechts und des Alltags zeigt. Das Problem ist das folgende: Die Rechte der Urheber werden nicht respektiert, weil das Internet den Gratiskonsum erleichtert. Zum Beispiel war der Bundesrat nicht bereit, gegen Filesharing-Dienste vorzugehen, die Piraterie ermöglichen. Selbstverständlich ist an diesem Problem nicht Viktor Giacobbo schuld. Aber sein Tweet, «jemand solle Kurt W. Zimmernann die Twitterwelt erklären», ist symptomatisch für das Malaise. Viele Leute sind nicht bereit, zu erkennen, dass die Urheber heute benachteiligt werden. Die Verlockungen des Gratiskonsums sind zu attraktiv. Dass die rechtliche Lage heute die Interessen der Urheber genügend schütze, kann nur jemand behaupten, für den der Gratiskonsum wichtiger ist als die Rechte der Urheber. Bevor man die Situation verbessern kann – auf allen Ebenen (Politik, Recht, Gewohnheiten der Internet-Nutzer) – muss man erkennen, dass die Urheber ein Problem haben. Es ist das Verdienst von Kurt W. Zimmermann, dass er an dieses Problem erinnert hat.
Du sagst, Urheber werden heute benachteiligt. Damit implizierst Du, dass es vorher (vor dem Internet-Zeitalter) für die Urheber besser war. Das ist eine Behauptung, die bis jetzt von niemandem auch nur im Entferntesten belegt werden konnte. Wann genau war es besser? Für welche Urheber? Wie hat sich das manifestiert? Ich mache ein Beispiel: Es mag zwar sein, dass es eine Zeit gab, in welcher es für ein paar wenige CH Bands möglich war mit dem Verkauf von CDs‘ oder Schallplatten ein Auskommen zu verdienen. Das war aber auch zu dieser Zeit eine ganz kleine Minderheit im vergleich zu all den Musikern, die das auch gerne so erlebt hätten. Heute hat sich die Anzahl Urheber vergrössert und die Anzahl die davon Leben kann ebenso, aber sie bleiben eine Minderheit. Dafür hat die grosse Mehrheit die Möglichkeit erhalten, ihre Werke überhaupt zugänglich zu machen.
Urheber werden aber auch rechtlich gesehen nicht benachteiligt. Sie haben ein Monopolrecht, wie keine andere Wirtschaftsgruppe. Und noch einmal: Das heutige Urheberrecht schütz die Urheber auch im Netz vollumfänglich. Kurt W. Zimmermann oder die Weltwoche könnten gehen Patrick Müller vorgehen, wenn sie wollten. Es gibt in der Schweiz keine Möglichkeit systematisch gegen das Urheberrecht zu verstossen, ohne mit der Möglichkeit rechnen zu müssen verklagt zu werden.
Andreas, Du forderst Belege, aber stellst gleichzeitig einige Behauptungen auf, die nachweislich falsch sind. So hat Jaron Lanier (sicher kein Zivilisationspessimist) bereits festgestellt, dass das Internet mehr Jobs vernichtet hat, als es geschaffen hat (viele Journalisten wurden entlassen, Fotografen, Buchautoren und Musiker verdienen weniger, Airbnb schadet der Hotellerie usw). Es ist klar, dass die Krise der Musikindustrie massgeblich verursacht wurde durch Gratis-Downloads, so dass Musiker riesige Einkommensverluste erleiden. Dass Musiker ihre Werke heute besser unter die Leute bringen können, ist auch falsch. Das stimmt nur rein theoretisch. Klar kann jeder sein selbst produziertes Musikfile ins Netz stellen, aber es ist genau so schwierig wie früher, ein grosses Publikum zu finden, denn die Schwemme an Selbstproduziertem im Netz ist für Konsumenten unüberblickbar, und mit Gratiskonsum verdienen die Musiker auch nichts. Das Gleiche gilt für Blogger.
Urheber haben kein «Monopolrecht», denn es gibt enorm viele Urheber, und jeder hat genausowenig ein «Monopolrecht» wie ein Gemüsehändler. Ob ein Medienverlag gegen das Vertwittern von Artikeln etwas machen könnte, weiss ich nicht. Ich bin kein Jurist. Mich stört in erster Linie die Haltung, die in Viktor Giacobbos Tweet zum Ausdruck kommt: Als ob die «Twitterwelt» dazu geschaffen worden wäre, um das Urheberrecht auszuhebeln. Twitter und andere Kanäle kann man auf ganz unterschiedliche Weise nutzen, und es liegt an den Politikern, aber auch an den Benützern, dafür zu sorgen, dass die Urheber dabei nicht benachteiligt werden.