Schröder erzählt

«Möglicherweise Deutschlands grösster Erzähler» – so nannte die Zeitschrift Spex Jörg Schröder im Jahr 1986. Schon damals schrieb Diedrich Diederichsen, «viele Leute und Leser» seien mittlerweile so jung, «dass sie nicht einmal mehr wüssten, wer Iggy Pop ist.» Geschweige denn Jörg Schröder. Diederichsen stellte ihn vor als «Erfinder des erweiterten Verlegertums»: «In ihm vermischten sich naiv-idealistisches Unternehmertum mit paranoisch-kritischer, politischer Klugheit.» In seinem März-Verlag brachte Schröder in den 70er Jahren legendäre Autorinnen und Autoren heraus – von Günter Amendt («Sexfront») bis Ken Kesey («Einer flog über das Kuckucksnest). Und als Autor des Buches «Siegfried» erfand Schröder laut Diederichsen «eine neue Ausdrucksform». Schröder protestierte im Interview: «Dieses Erzählen ist keine Literatur in diesem klassischen Sinne», worauf Diederichsen insistierte: «Ich würde sagen, es ist gerade welche.» Damit konnte der Autor leben: «Ja gut, gerade welche.»

In den neunziger Jahren gab Jörg Schröder zusammen mit seiner Lebenspartnerin Barbara Kalender 60 Folgen der Serie «Schröder erzählt» heraus. Ein kleiner Teil dieses Monumentalwerks ist jetzt in einem handlichen Band mit dem Titel «Kriemhilds Lache» versammelt. Die meisten Geschichten sind nur eine, zwei oder drei Seiten kurz. Kleine Texthappen also, die meisten hat Schröder geschrieben, einige stammen von Barbara Kalender. «Nahezu sämtliche Erzählungen entstehen aus Gesprächen, die wir aufnehmen», verraten Kalender und Schröder in einer «editorischen Notiz».

Der frische, humorvolle Erzählton macht Spass. Schröder erzählt nicht nur witzige Episoden aus seinem Leben als Werbetexter, Buchhändler, Verleger und Autor, sondern entwirft fast beiläufig ein spannendes Panorama der politischen und künstlerischen Ereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg. Mal erzählt er vom Buchhändler Josef Rieck, der in der Nazizeit eine «Versandbuchhandlung des Widerstands» betrieb, und bei dem Schröder in den sechziger Jahren arbeitete, mal erzählt er von seinem Cousin Walter («wenn er pupt, dann knallt er»), der in Pankow in der DDR lebte und mit Eigeninitiative «den Plan mit praktischer Vernunft überlistete» – nicht zum Eigennutz, sondern damit «die Chose irgendwie weiterlief». Schröder erzählt auch, wie er in den siebziger Jahren in der Vogelsberg-Region geheime Atomraketen entdeckte, worauf sich ein trotteliger CIA-Agent an seine Fersen heftete.

Geschichten erzählen, das klingt nicht spektakulär – aber Schröders erzählerische Leidenschaft macht «Kriemhilds Lache» zum Ereignis, und es ist schon jetzt eines meiner Lieblingsbücher, obwohl ich erst einen Drittel gelesen habe.

Barbara Kalender und Jörg Schröder: «Kriemhilds Lache», Verbrecher Verlag 2013

Über agossweiler

Journalist
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