Die Diskussion um ein Verbot der Prostitution hat neuen Aufwind bekommen mit der entsprechenden Forderung von 43 Schweizer Nationalrätinnen und Nationalräten. Bei dieser Debatte ist mir ein seltsames Missverständnis aufgefallen. Verbreitet wurde es zunächst von der französischen Feministin Elisabeth Badinter. Für sie kommt das Verbot der Prostitution einer «Kriegserklärung an die männliche Sexualität» gleich. Es sei «ungerecht», dass man den Frauen erlauben wolle, sich zu prostituieren und nur die Freier bestrafen wolle.
Hierzulande hat sich die Journalistin Michèle Binswanger in Badinters Fusstapfen gestellt. Auch sie schreibt, die geplante Bestrafung der Freier verrate «genau jene moralische Haltung, welche die männliche Sexualität insgesamt unter Verdacht stellt.» Auch Binswanger stellt sich in ihrem Twitterprofil als «feminist» vor. Männliche Leser haben ihren Artikel im Kommentarfeld als «ausgewogen» und «differenziert» beurteilt.
Es erstaunt mich nicht wenig, dass sich Feministinnen so schützend vor Freier stellen. Dass der Kauf von sexuellen Dienstleistungen mit dem Feminismus kompatibel sein soll, ist mir neu. Aber das ist nicht primär mein Problem.
Was mich mehr stört, ist, dass die beiden Feministinnen den Besuch bei Prostituierten so schnell mit männlicher Sexualität gleich stellen.
Bisher kritisierten Frauen oft (und zu Recht), dass Männer ihre Sexualität als etwas von anderen sozialen Beziehungen Isoliertes betrachten. Der klassische Konflikt zwischen Frauen und Männern bewegte sich immer entlang der Linie, dass Frauen Sexualität in einem grösseren Kontext sozialer Beziehungen betrachten, während viele Männer, salopp ausgedrückt, oft am schnellen Sex interessiert sind. Natürlich stimmte das nie so absolut, und ich war immer der Meinung, dass Frauen und Männer in diesem Bereich mühelos ihre sozialen und sexuellen Interessen vereinbaren können.
Deshalb irritiert es mich, dass jetzt zwei Feministinnen sich für «männliche Sexualität» stark machen in der Debatte um die Prostitution.
Badinter und Binswanger lassen zwei wichtige Dinge ausser acht:
1. Männer gehen dann zu einer Prostituierten, wenn es ihnen nicht gelingt, eine Frau zu finden, die freiwillig (das heisst, ohne Bezahlung) mit ihnen Sex haben will. Der Besuch im Puff ist also nicht gleichzusetzen mit männlicher Sexualität, sondern er ist eine Notlösung, ein Trick. Dazu kommt: Der Besuch im Puff ist keine echte sexuelle Beziehung, sondern er ermöglicht nur die Illusion einer sexuellen Beziehung. Denn Sex ist, wie Frauen seit jeher wissen, eine Form der Nähe, die auch seelische Nähe bedeutet. Doch wer sich eine sexuelle Dienstleistung kauft, bekommt keine seelische Nähe, sondern eben nur die Illusion derselben. Mit anderen Worten: Der Freier betrügt sich selbst.
2. Prostitution basiert nicht, wie Badinter erklärt, auf dem Recht der Frauen, mit ihrem Körper das zu tun, was sie wollen. Vielmehr ist Prostitution historisch gesehen mit Elend assoziiert und auf dem Boden sozialer Not entstanden. Es ist mir unverständlich, wie Feministinnen dies übersehen können. Der Anthropologe David Graeber hat in seinem Buch «Schulden – die ersten 5000 Jahre» eindrücklich gezeigt, wie eng Prostitution und soziale Not verknüpft sind. Laut Graeber ist die Prostitution entstanden, weil verarmte Bauern ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten. Deshalb sahen sich die Bauern gezwungen, ihre Töchter oder ihre Ehefrauen zu verkaufen. Jeder Freier stellt sich in diese Tradition, auch heute noch. Seltsam, dass Feministinnen das nicht sehen wollen.
„Seltsam, dass Feministinnen das nicht sehen wollen.“
Welche Feministinnen? Jemals die „Emma“ gelesen? Alice Schwarzer, so Mainstream und Wischiwaschi sie auch sein mag, ist nach meinem aktuellen Wissensstand gegen Prostitution. Die zitierten Personen nennen sich viellleicht Feministinnen, haben sich aber klarerweise nur oberflächlich mit dem Thema beschäftigt.
Zu Punkt 1: Ernstzunehmenden Feministinnen ist bekannt, dass Männer die zu Prostituierten gehen durchaus Frauen finden könnten – viele sind sogar verheiratet – die freiwillig mit ihnen Sex haben würden. „Mit“ ist hier das wichtige Wort. Sexkäufer wollen nämlich nicht MIT einer Frau Sex haben, bei dem sie die Frau als vollwertigen Menschen betrachten und behandeln müssten, sondern eine Prostituierte zur Selbstbefriedigung benutzen. Sieht man ganz gut an Kerlen, die Dinge schreiben wie „Ich will einfach nur mal, Sex, ohne Verpflichtungen“ – damit gestehen sie ein, dass eine Prostituierte eben nicht dasselbe ist wie eine Frau die einfach mal unverbindlichen Sex will. Hat die Prostituierte etwa keine Gefühle? Kann sie sich nicht in einen Sexkäufer verlieben?
Oder ist es aus irgendeinem Grund in Ordnung, auf ihren Gefühlen herumzutrampeln, weil sie dafür bezahlt wird? Aber sie ist doch angeblich so glücklich mit ihrer „Sexarbeit“, wie geht das, wenn ihre Gefühle missachtet werden?
Das passt hinten und vorne nicht zusammen. Die Tatsachen sehen eher so aus: Er hat Geld, und findet, das gebe ihm das Recht, dafür zu bezahlen, eine Prostituierte so schlecht zu behandeln wie sich keine Frau freiwillig behandeln lässt.
Den Mann der als „Notlösung“ zu einer Prostituierten geht mag es auch geben, aber auch hier ist der Grund darin zu finden, dass viele Männer Onanie mit Sex gleichsetzen. Der Mann der zu einer Prostituierten geht, weil er keine Frau „aufreißen“ kann, weiß, dass die Prostituierte genauso wenig Lust auf ihn hat – und es ist ihm egal.
Natürlich ist das nicht „männliche Sexualität“ sondern eine kranke, verdrehte Sexualität, die Männern keineswegs angeboren ist – und ich frage mich, warum sich so viele Männer ohne Protest unterstellen lassen, dass Sex für sie darin besteht, unter Verwendung eines fremden Körpers zu onanieren – aber der Frauenkauf ist keine Notlösung, sondern Resultat einer bestimmten Geisteshaltung. Wer wirklich seelische Nähe sucht, redet lieber mit einem guten Freund, als eine fremde Frau für Sex zu bezahlen.
Ja, der Freier betrügt sich selbst – aber er macht es mit Absicht, genau wie man beim Lesen eines Buches für eine Weile so tut, als seien die Ereignisse im Buch real. Nur, dass man beim Bücherlesen niemandem wehtut …