Seltsam: Je schlechter es dem Journalismus geht, umso intensiver wird über die «Zukunft des Journalismus» debattiert. Und umso skurrilere Resultate bringt diese Debatte hervor. Das neuste Beispiel ist das GIF, ein kurzes Video in Endlosschlaufe. Seine leidenschaftlichsten Fans sitzen in Redaktionen von Gratis-Newsseiten wie 20 Minuten und Watson. Populär gemacht (oder wieder entdeckt) wurde es vom amerikanischen Infotainment-Portal Buzzfeed.
«Eines ist das ganz bestimmt nicht mehr: Journalismus», schrieb ein Journalist auf Twitter. Watson-Mitarbeiter und Ex-Dadahaus-Chef Philipp Meier antwortete: «Das beeindruckt mich nicht. Kenne es nur zu gut: „Das ist bestimmt keine Kunst.“»
Damit kam erstmals ein bisschen Schwung in die Debatte. Keine Frage: Meier kennt die Kunsttheorie der letzten hundert Jahre. Doch er wendet die Kunsttheorie am falschen Ort an. Denn Journalismus kann man nicht eins zu eins mit Kunst vergleichen. Moderne Kunst kennt keine Regeln, ausser einer: Künstler müssen immer wieder etwas formal Neues präsentieren. Journalismus hat hingegen eine klare Aufgabe: Informationen vermitteln. Wenn schon, müsste man Kunst mit Literatur vergleichen, nicht mit Journalismus. Journalismus verhält sich zu Literatur wie Werbung zu Kunst.
Deshalb ist klar, dass GIF kein Beitrag zum Journalismus der Zukunft leisten können. Denn ihre Fähigkeit, Informationen zu transportieren, ist, vorsichtig ausgedrückt, sehr klein. GIF gehören zur Sphäre der Unterhaltung, nicht zur Sphäre der Information. GIF sollen zum Lachen anregen, nicht zum Denken. GIF machen den Betrachter konfus, vor allem wenn sie im Dutzend auf eine Seite gepackt werden. Ein konfuser Zeitungsleser ist ein schlechter Zeitungsleser. GIF sind ein Beitrag zur Infantilisierung des Journalismus, nicht zur Zukunft desselben.
Das Projekt Watson wird zur Zeit mit Vorschusslorbeeren überschüttet, dass es sogar seinem Gründer Hansi Voigt nicht mehr ganz geheuer ist. «Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass ich beim ersten Anlass gevierteilt werde, würden mich all die Komplimente sehr freuen», twitterte Voigt. Bisher ist nicht bekannt, was Watson zur Zukunft des Journalismus beitragen wird, ausser dass Hansi Voigt angekündigt hat, er würde im Zweifelsfall lieber einen Beitrag über das amerikanische Popsternchen Miley Cyrus bringen als eine Nationalratsdebatte über neue Kampfflugzeuge. Mit dieser Ankündigung positioniert Voigt sein Projekt in der Sphäre der Unterhaltung, genau so wie wenn sein Mitarbeiter Meier von GIF schwärmt.
Keine Frage: Journalismus soll und darf auch unterhaltsam sein. Doch heute gibt es im Journalismus nicht zuwenig Unterhaltung, sondern zuwenig tiefschürfende Recherchen. Es ist mir deshalb schleierhaft, warum GIF und Berichte über Miley Cyrus als Zukunft des Journalismus gehandelt werden.
bei den meisten (gross)verlagen ist demnach alles bestens, denn die setzen bei den chefs fast ausnahmslos auf die printleute und stellen die onliner in die zweite reihe oder vor die türe. wie gross das risiko dieser strategie ist, scheint jedoch kaum jemanden zu interessieren… (kleine korrektur: ich arbeite erst ab dem 1. jan. 2014 bei watson)
Riskant ist heute jede Strategie im Umfeld der Medien. Auch das Hochziehen einer neuen Plattform wie Watson ist hoch riskant. Das Thema war jedoch nicht, ob Verlage Onliner als Chefs anstellen sollen. Das Thema war, ob GIF die Zukunft des Journalismus sind und falls ja, was das bedeutet für die Zukunft des Journalismus.
GIF’s sind ein kleines modulares instrument, um künftig (journalistische) geschichten zu erzählen (zu helfen). nicht mehr und nicht weniger.
was online gefragt ist, ist „trial and error“ (v.a. weil hier kommuniziert und nicht gesendet wird). deshalb wäre es total falsch, bei jedem aufschrei „das ist aber kein journalismus“ zusammenzuzucken und klein beizugeben (das war übrigens mein bezug zur kunst; denn auch dort: wer dort aufhört kunst zu machen, wo alle sagen, dass es keine kunst mehr ist, der wird nie die kunst weiterentwickeln können).
aus unzähligen neuen instrumenten, werkzeugen, vermittlungshilfen, storyboards, informationskanälen, crowd sourcings, etc.pp. wird aktuell das geformt und gebildet, was möglicherweise der zukünftige journalismus sein wird (der, wie ich andernorts bereits ausgeführt habe, vielleicht nicht mehr journalismus heissen wird, weil er schlicht und einfach nicht mehr viel mit print/radio/tv-journalismus gemein haben wird)
und zurück zu meinem vorigen kommentar: ich mag es nun mal nicht, zu den wahrenden und warnenden zu zählen. voll auf die karte print zu setzen ist genauso hochriskant….; aber deshalb derjenigen weg, den aktuell (fast) alle einschlagen, weil sie nicht zu den gefährlichen neuen ufern aufbrechen wollen. also dreschen sie auf jedes experimentelle aufflackern von neuen journalismusformen ein; einfach um sich zu bestätigen, dass man auf dem richtigen dampfer sitzt (der eisberg ist ja noch gaaaanz weit weg;)
Die wohl beste Zeitung der Welt – die NYT – setzt auf GIFs – ebenso der Guardian …
Auszug aus einem alten 20-Minuten-Online Artikel:
Vom Internet-Meme zum Verb des Jahres
Auch die Medien haben das 26 Jahre alte GIF wieder entdeckt. Die «New York Times» fasste die besten Szenen der Olympischen Spiele in London in animierten GIFs zusammen. Der britische «Guardian» schnippelte die Wahlkampfduelle zwischen Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney zu witzigen GIF-Filmchen zusammen.
Das technisch hoffnungslos veraltete Bildformat hat gegenüber Videos einen entscheidenden Vorteil: Die animierten Bilder sind kleiner und können problemlos von Smartphone-Nutzern angeschaut werden, die auf ihr Datenguthaben achten müssen.
Das unerwartete Comeback hat inzwischen gar das Oxford American Dictionary auf den Plan gerufen. Es wählte das Wort «GIFing» zum Verb das Jahres 2012. Das GIF habe sich von einem Internet-Meme zu einem Werkzeug für seriöse Anwendungen wie Forschung und Journalismus entwickelt, hiess es in der Begründung der Sprach-Päpste im November 2012.
Quelle: http://www.20min.ch/digital/news/story/22593034
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