Bei der deutschen Bundestagswahl erreichten die Piraten vor einem Monat nur 2,2 Prozent der Stimmen. Daran ist nicht Johannes Braun schuld. In seinem Buch «Digital naiv», das er unter den Namen Anonymus veröffentlicht hat, rechnet er mit der Piratenpartei ab. Vor dem Hintergrund des aktuellen Wahlergebnisses liest sich Brauns Buch wie ein Schwanengesang. Johannes Braun kennt die Piraten von innen – er war ein Jahr lang Mitarbeiter der Saarländer Piratenfraktion. Wenn man sein Buch liest, fragt man sich, warum er es so lange bei dieser Partei ausgehalten hat.
Johannes Braun wirft den Piraten vor, sie würden «selbst in ihren Kernthemen versagen.» Sie seien naiv, weil sie «alle negativen Folgen des Internets ausblenden.» Die Piraten vergöttern laut Braun das Netz, weil sie sich dort geborgen fühlen. Einige Exponenten der Partei seien internetsüchtig. Der Buchautor belegt das mit Zitaten wie: «Mein Name ist Julia und ich lebe im Internet.» Das sei gar nicht anders möglich, denn der harte Kern der Piraten müsse ständig online sein, um die wichtigsten parteiinternen Diskussionen nicht zu verpassen.
Die Piraten haben laut Braun eine «romantische Vorstellung vom freien Internet.» Das Netz ist nicht herrschaftsfrei, gibt Johannes Braun zu bedenken. Die Kontrolle durch das ICANN ist undemokratisch, Blogger schreiben meistens unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Konzerne wie Google schaffen neue Monopole, und PR-Fachleute schreiben Wikipedia-Einträge um. «Auch das Blabla der Piraten hört sich häufig genug an wie direkt aus den PR-Abteilungen von Facebook und Twitter.»
Weil der Autor ein gut informierter Politikwissenschaftler ist, liest sich sein Buch nicht (nur) wie eine Abrechnung, sondern es enthält auch spannende historische Perspektiven. So stellt Braun die Piraten in einen Zusammenhang mit der kalifornischen Hacker-Subkultur der 70er Jahre. Die Piraten hätten ihre Grundsätze von den Hackern «raubkopiert», so Braun. Damit hätten sie mehr Schaden als Nutzen gestiftet. Denn das Internet sei ideal für Shopping und Unterhaltung, aber nicht für Politik. Die sogenannte liquide Demokratie funktioniere nicht, denn nur ganz wenige Parteimitglieder würden sie nutzen. Zudem sei ein grosser Teil der Abgeordneten «Freaks und Sonderlinge», die sich mit abstrusen Hobbies wie Killerschach befassen (Pirat Patrick Linnert aus Bayern) und Tweets mit lapidaren Inhalten wie «Pferd» oder «Penis» senden (Christopher Lauer aus Berlin).
Den Piraten rät Johannes Braun, sich aus der Politik zurück zu ziehen und sich stattdessen in der Privatwirtschaft zu betätigen, zum Beispiel mit dem Aufbau eines neuen Internet-Providers.
Anonymus: Digital naiv. Orell Füssli Verlag 2013