In der Medienwoche behauptet der Blogger Ronnie Grob, die Journalisten seien schuld an der ausufernden Überwachung der Bürger durch den Staat. Weil es keine Beweise gibt für diese abenteuerliche Behauptung, dichtet Ronnie Grob den Journalisten kurzerhand einen charakterlichen Mangel an: Journalisten seien «ängstlich», behauptet er. Und damit diffamiert er einen ganzen Berufsstand – ohne Beweise vorzubringen. Statt Beweisen haut er den Journalisten eine Reihe beleidigender Gemeinplätze um die Ohren:
– Journalisten seien «etwas lebensunpraktische Typen», sie seien früher von Mitschülern «Brillenschlangen» oder «Zeitungsleser» beschimpft worden.
– Viele Journalisten seien «zufrieden, wenn sie es unfallfrei bis in die Redaktion schaffen und wieder nach Hause.»
– Journalisten stehen «dem Revolutionär aller Kommunikation, dem Internet, skeptisch gegenüber».
– Journalisten würden sich über die Arbeitsbedingungen beklagen, hätten aber nicht den Mut, eine eigene Firma zu eröffnen (wie wenn Hugo Bigi, Ivo Bachmann, Hansi Voigt und viele andere Kollegen nicht genau das getan hätten).
Ronnie Grob sollte mal eine Woche lang die Arbeit von Journalisten in einer seriösen Redaktion beobachten. Denn offenbar hat er wenig Ahnung davon, wie Journalisten arbeiten. Tatsache ist: Wer ängstlich ist, bleibt nicht lange Journalist. Denn Journalisten, die ihre Aufgabe ernst nehmen, die genau hinschauen und kritisch denken, die investigativ arbeiten, haben immer wieder ein ungemütliches Leben. Personen in Machtpositionen haben es nicht immer gerne, wenn Journalisten ihre Arbeit kritisch beleuchten. Dann kommt es vor, dass sich Anwälte auf der Redaktion melden, dass ein Journalist bei der Polizei oder bei einem Gericht vortraben muss, oder auch, dass ein Journalist betrieben wird. Selbstverständlich haben die Vorladungen bei Polizei und Gericht in der Regel keine weiteren Folgen, wenn der Journalist sauber gearbeitet hat. Eine Betreibung ist hingegen weniger einfach zu bereinigen, auch wenn sie nicht begründet ist. Überdurchschnittlich ängstliche Gemüter suchen sich angesichts solcher Arbeitsbedingungen lieber baldmöglichst einen anderen Job.
Nun zu Ronnie Grobs These. Ohne irgendwelche Belege, ohne ein einziges konkretes Beispiel zu erwähnen, wirft Grob den Journalisten vor, sie würden «hysterische Beiträge» verfassen, welche dazu führen würden, dass die Politik «auf Kosten der Gemeinschaft übereilt getroffene Massnahmen» einführe. Auch bezüglich der Politik bringt Ronnie Grob kein Beispiel einer «übereilt getroffenen Massnahme», was den Vorteil hat, dass er seine These nicht mit der Realität abgleichen muss (vermutlich würde der SVP-nahe Schreiber Ronnie Grob weder die Ausschaffungsinitiative noch das Minarettverbot als «übereilte Massnahme» gelten lassen). Er erwähnt nur das Beispiel der angeblichen Sichtung eines Panters im Oberaargau – eine Story, die nichts mit dem Thema Überwachung der Bürger zu tun hat.
Vor zwei Jahren hat mir Nick Lüthi, der Redaktionsleiter der Medienwoche, versprochen, er werde dafür sorgen, dass die Mitarbeiter seines Blogs journalistischer arbeiten. Journalistisch arbeiten bedeutet, dass man die Realität kritisch mit den eigenen Vorstellungen vergleicht und die Fakten sorgfältig prüft. In seinem neuen Text macht Ronnie Grob das Gegenteil: er verbreitet Vorurteile über einen Berufsstand, ohne zu recherchieren. Das ist genau das, was mich an vielen Blogs stört, das war schon zu Bobby-California-Zeiten genau so, und es hat sich seither kein Jota verbessert.
Sicher sind Journalisten manchmal ängstlich, nicht mehr und nicht weniger als andere Menschen. Aber dass man eine Fehlentwicklung der Gesellschaft, nämlich die Überwachung der Bürger und die Zerstörung der Privatsphäre, einseitig den Journalisten anlastet, und dies mit einer erfundenen Charaktereigenschaft begründet, statt Beweise für die These vorzubringen, das geht nicht an. Schon früher wurden in dunklen Zeiten der europäischen Geschichte gesellschaftliche Fehlentwicklungen gewissen Bevölkerungsgruppen zur Last gelegt. Sündenböcke sind immer schnell gefunden, aber wenn man Sündenböcke benennt, behindert man die Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Die zunehmende Überwachung der Bürger hat verschiedene Gründe, ich würde sie suchen in der technischen Machbarkeit im Computerzeitalter (auch wenn der internetbegeisterte Ronnie Grob dies möglicherweise als Computerfeindlichkeit interpretieren würde), aber auch in politischen Konstellationen und wirtschaftlichen Interessen. Es ist legitim, die Rolle zu untersuchen, die die Medien in diesen Konstellationen spielen. Aber es ist beleidigend und nicht zielführend, die Gründe dafür in einer behaupteten schlechten Charaktereigenschaft – der angeblichen Ängstlichkeit – der Journalisten zu suchen.
Sorry, Andreas, aber Dein Ausflug „in dunkle Zeiten der europäischen Geschichte“ ist dann doch etwas too much. Dass Du Dich persönlich angegriffen fühlst und darauf antwortest, schön und gut. Aber eine sachliche Kritik an Teilen (explizit im Text erwähnt: „Es ist wichtig, keine Kollektivbeschuldigung zu machen, verhalten sich doch viele sehr korrekt“) von Journalisten, Experten und Politikern so darzustellen, als hätte ich dumpf nach „Sündenböcken“ gesucht, ist lächerlich. Journalisten mäkeln jeden Tag an irgendwelchen Dingen rum. Sie sollten es aushalten, dass das auch mit ihnen getan wird.
Immerhin bist Du inzwischen so mutig, Deine Aussagen mit Deinem Namen zu zeichnen, dazu kann man Dir nur gratulieren. Davon abgesehen scheine ich einen wunden Punkt getroffen zu haben.
Die Arbeit von Journalisten besteht nicht darin, «jeden Tag an irgendwelchen Dingen rumzumäkeln», sondern sie besteht vielmehr darin, Informationen zu sammeln und kritisch zu prüfen.
Eine sachliche Kritik an der Arbeit von Journalisten ist immer willkommen, und ich kann sachliche Kritik auch problemlos aushalten. Zu einer sachlichen Kritik gehört aber zwingend, dass man seine Kritik mit Fakten unterlegt, doch wie gesagt vermisse ich die Fakten im erwähnten Text. Persönlich angegriffen fühle ich mich nicht, denn ich weiss aus eigener Erfahrung, dass Journalisten generell nicht ängstlicher sind als Angehörige anderer Berufsgruppen wie Lehrer oder Lokführer.
Ich wehre mich jedoch dagegen, dass man eine gesellschaftliche Fehlentwicklung einer Berufsgruppe anhängt, ohne Beweise dafür vorzulegen. Journalisten haben ein notorisch schlechtes Image, und deshalb ist es nicht schwierig, Journalisten zu kritisieren. Aber eben, die Kritik sollte mit Fakten belegt sein.
Hier übrigens noch ein anderes Beispiel, wie das Sicherheitsdenken der Journalisten die Politik beeinflusst: http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1&mode=play&obj=37678
Ich bleibe dabei: „Malo periculosam vitam quam quietum servitium.“
Im 3sat-Beitrag sagt der Sprecher: «Das bringt hohe Auflagen und Einschaltquoten» – er führte es nicht auf das «Sicherheitsdenken der Journalisten» zurück. Der Zusammenhang, den Du hier konstruierst, ist absurd.
Und warum Du in diesem Zusammenhang Rousseau zitierst, bleibt auch beim zweiten Mal schleierhaft.