Die Tendabahn ist eine der faszinierendsten Alpenlinien. Diese internationale Linie verbindet das Piemont mit der ligurischen Küste und der Côte d’Azur. Sie verkürzte die Strecke zwischen der Schweiz und Nizza um 40 Prozent. Wie die Gotthardlinie weist die Tendabahn viele grosse Brücken und Kehrtunnels auf. Ihre Geschichte ist genau so spannend wie die Bauwerke. Beschlossen wurde der Bau, als Nizza noch zum Königreich Piemont-Sardinien gehörte. Der Wechsel der Grafschaft Nizza zu Frankreich und der erste Weltkrieg verzögerten den Bau der Linie. Erst 1928 war sie durchgehend fertig. Im Zweiten Weltkrieg zerstörte die deutsche Armee alle Viadukte zwischen Ventimiglia und Tenda. Erst dreissig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Linie wieder aufgebaut. Im Herbst 1979 wurde sie ein zweites Mal eröffnet.
Doch wenn es nach dem Willen der piemontesischen Regionalregierung geht, kann man bald nicht mehr mit dem Zug von Cuneo nach Ventimiglia fahren: Die Region will die Linie demnächst stilllegen. Dies wäre extrem schade. Denn die wunderschöne Berglandschaft macht die Bahnfahrt zum Hochgenuss. Zudem ist die Verbindung zwischen der ligurischen Küste und dem Piemont sehr praktisch und spart lange Umwege. Aus diesem Grund gab es vor dem Zweiten Weltkrieg direkte Züge von Bern über die Tendalinie nach Ventimiglia. Das ist lange her. Heute fahren moderne, komfortable Regionalzüge über die Tenda-Bahn. In Cuneo muss man umsteigen in Züge nach Torino und Milano.
Die betroffene Bevölkerung wehrt sich engagiert für die bedrohte Linie. Ende April fand in Torino eine Demonstration statt, und im Internet kann man eine Petition gegen die Stilllegung unterschreiben. Es ist sehr zu hoffen, dass die Linie überlebt. Doch die Chancen sind ungewiss. Schon im letzten Jahr hat die Region Piemont einen grossen Teil des Bahnnetzes stillgelegt. Zwischen Alba, Asti und Alessandria fahren seither keine Züge mehr. Doch wenn jetzt eine internationale Linie wie die Tenda-Bahn dran glauben muss, ist das noch viel dramatischer.
Die Verbindung zwischen Nizza und Cuneo scheint von den Stilllegungsplänen nicht betroffen zu sein, denn auf dieser Linie fahren Züge der französischen Staatsbahn SNCF.
Update 15.6. Die Proteste zeigten Wirkung: Die Regierung der Region Piemont lässt die Züge zwischen Cuneo und Ventimiglia «vorerst» weiter fahren. Die Region will, dass die Bahnlinie in die Zuständigkeit des italienischen Verkehrsministeriums übergehen soll. Geplant sind offenbar auch wieder direkte Züge zwischen Nizza und Torino. Dies berichtet die Zeitschrift Eisenbahn-Amateur.
Update 7.12. «Um die Zukunft dieser einzigartigen Gebirgsbahn in den Seealpen steht es nach wie vor schlecht», schreibt der Eisenbahn-Amateur in der Dezembernummer. Ab dem Fahrplanwechsel dürfen die Züge der Relation Ventimiglia – Cuneo zwischen Olivetta San Michele und dem Tenda-Tunnel nur noch mit 40 km/h fahren, weil das Gleis in einem schlechten Zustand ist. Zudem soll das Zugsangebot zwischen Cuneo und Ventimiglia von bisher 8 auf 2 Zugpaare zusammengestrichen werden. Dass die Linie grosses Potential hat, zeigt die Tatsache, dass jetzt Busunternehmer Schnellbusse zwischen Torino und Ventimiglia fahren lassen wollen. Ein weiterer Sargnagel für die Tendabahn?
Update Januar 2017 Zwischen September 2017 und April 2018 (8 Monate!) soll die Tendalinie zwischen Breil-sur-Roya (F) und Limone (Piemont) geschlossen werden wegen Bauarbeiten. Weitere Arbeiten sind 2018 vorgesehen, um die Geschwindigkeit wieder auf 80 km/h anheben zu können. Dies deutet darauf hin, dass die Zukunft der Linie gesichert ist.
Update Sommer 2018 Seit August 2018 fahren die Züge auf der Tendabahn wieder. Pro Tag bietet Trenitalia zwei Verbindungen Ventimiglia – Cuneo an, am Wochenende drei. Auf dem französischen Teil gibt es täglich je einen Zug Nizza – Breil-sur-Roya und Nizza – Tenda mit Anschluss nach Cuneo.
Fotos: Andreas Gossweiler
Nein!!! Meine Lieblingsbahnstrecke darf nicht stillgelegt werden!