Europaranoia in der BaZ

Pressekonferenz in Madrid (Bild: Twitter)

Pressekonferenz in Madrid (Bild: Twitter)

Die Europäische Union eignet sich hervorragend als Projektionsfläche für allerlei Fantasien. Die Bürokraten in Brüssel sind suspekt. Sie verbringen ihre Zeit damit, die Krümmung von Gurken zu messen. Man kennt sie nicht. Man kann sie nicht auf ein Bier am Stammtisch treffen. Kürzlich gab es in unserem östlichen Nachbarland grosse Aufregung: Die EU wolle die Wasserversorgung aller Gemeinden privatisieren, warnte die österreichische Kronen-Zeitung. Das stimmt nicht, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Die EU stellte nur Regeln auf für diejenigen Gemeinden, die die Wasserversorgung privatisieren wollen (die es auch in Österreich gibt), zwecks Verhinderung von Mauscheleien.

Auch die Basler Zeitung machte gestern Stimmung gegen die EU. Zu diesem Zweck hat ja ein Herrliberger Milliardär die Zeitung gekauft. Der Zürcher Kantonsrat (und verhinderte BaZ-Bundeshausredaktor) Claudio Zanetti schrieb ein feuriges Pamphlet mit dem beunruhigenden Titel «Beängstigende Tendenzen in der EU – Volksaufklärung und Propaganda machen unfrei.» Was ist wahr daran? Gar nichts. Das zeigt die Lektüre des 50-seitigen EU-Papiers, auf das sich Zanetti bezieht (vermutlich hat er es gar nicht gelesen). Es lohnt sich, das Papier zu lesen. Es ist gut geschrieben, und man spürt beim Lesen, dass sich die Autorinnen und Autoren gründlich mit der Materie beschäftigt haben – im Gegensatz zu Zanetti. Der zitiert nur einen FAZ-Artikel.

Um was geht es? Ein vierköpfiges Beratergremium hat im Auftrag der EU-Kommissarin Neelie Kroes die Krise der Medien analysiert und dreissig Empfehlungen formuliert. Die Beratergruppe besteht aus Vaira Vīķe-Freiberga, die als parteilose Präsidentin Lettland in die EU geführt hatte, der deutschen Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), dem britischen Internet-Experten und Journalisten Ben Hammersley, stv. Chefredaktor der britischen «Wired», und dem portugiesischen Juristen Luís Miguel Poiares Pessoa Maduro.

Das Papier des Beratergremiums trägt den Titel «A free and pluralistic media to sustain European democracy». Auf deutsch: Die europäische Demokratie braucht freie Medien, die vielfältige Meinungen wiedergeben. Der Einsatz für «free and pluralistic media» zieht sich wie ein roter Faden durch das Papier. Die Autorinnen und Autoren sehen die Freiheit der Medien bedroht durch verschiedene Entwicklungen:
• politische Einflussnahme;
• einseitige Ausrichtung von Verlagen auf maximalen Profit;
• Bildung von Monopolen;
• schlechtere Arbeitsbedingungen der Journalisten;
• fehlende Transparenz in Bezug auf die Eigentümerschaft von Medien (ein besonders pikanter Punkt bei der BaZ, deren Eigentümer sich lange Zeit bedeckt hielten);
• Fehlverhalten von Journalisten;
• schwache Medienbehörden auf nationaler Ebene, usw.

Diese Entwicklungen, die für eine freie Medienlandschaft gefährlich sind, kann man auch in der Schweiz beobachten. Das EU-Beratergremium schlägt eine Reihe von Massnahmen vor, um die falschen Entwicklungen zu korrigieren, unter anderem:
Staatliche Subventionen für Medien, die wichtig sind für den Pluralismus (dazu gehört die sprachliche, kulturelle und politische Vielfalt), die man aber nicht rentabel betreiben kann: «Der Staat soll intervenieren, wenn die Marktmechanismen dazu führen, dass der Pluralismus bedroht ist»;
• Alle EU-Staaten sollen unabhängige Medienräte haben, die politisch, kulturell und sozial ausgewogen zusammengesetzt sind. Diese Medienräte sollen die Kompetenz haben, Beschwerden zu recherchieren, ähnlich wie ein Ombudsman. Sie sollen auch prüfen, ob die Medienunternehmen die Besitzverhältnisse offenlegen (das wäre auch in der Schweiz nötig – siehe BaZ). Und sie sollen auch Bussen verhängen und den Abdruck von Richtigstellungen durchsetzen können;
• Bei schweren Bedrohungen der Freiheit und des Pluralismus der Medien soll die EU eingreifen und einen Mitgliedstaat verwarnen (Originaltext: «by naming and shaming»).

Interessant auch die Bezugnahme auf die Internet-Medien. Die Zunahme der Online-Medien könne den Pluralismus nicht garantieren, schreiben die EU-Berater. Denn die inhärenten Filtermechanismen der Newsfeeds könnten dazu führen, dass immer mehr Leute nur noch diejenigen Themen wahrnehmen, die sie interessieren, und dass sie nur noch diejenige Perspektive wahrnehmen, mit der sie sich identifizieren. Das führe dazu, dass sich diese Leute immer weniger engagieren in der Gesellschaft. Und das habe «zweifellos einen negativen Einfluss auf die Demokratie» – weil sich Leute immer stärker einkapseln in starren Positionen, was dazu führt, dass es schwierig wird, einen Konsens zu finden. Darum fordern die EU-Berater, dass Suchmaschinen und Newsfeeds die Möglichkeit anbieten, den personalisierten Filter auszuschalten.

Und was macht nun Herr Zanetti aus diesem EU-Papier? Er schlägt Alarm: «Die EU-Kommission strebt nach einer politisch motivierten Kontrolle über die Medien», unkt er in der BaZ. Die EU-Zentrale habe Angst, sie «könne die Lufthoheit über die veröffentlichte Meinung verlieren.» Zanetti schwadroniert, die EU sei unterwandert von Linken, deren Ziel «Volksaufklärung und Propaganda» seien, wie bei den Nazis: «Dahinter steckt die gleiche Absicht, die in unseligen Zeiten für die rasche Verbreitung des Volksempfängers sorgte.» Man reibt sich die Augen: Zanetti und die BaZ unterstellen der EU also tatsäclich faschistische Tendenzen. Ein starkes Stück – vor allem, weil es eine Zeitung druckt, die klammheimlich vom SVP-Chefdenker aufgekauft wurde, mit dem Ziel, seine Botschaften unters Volk zu bringen.

Jeden Satz in Zanettis Text kann man widerlegen. Keine Aussage in dem Pamphlet hält dem Vergleich mit der Realität stand. Man kann für oder gegen die EU sein. Ich finde es aber bedauerlich und ärgerlich, dass Claudio Zanetti nicht sachlich argumentiert, sondern den Teufel an die Wand malt und wilde Fantasien zum besten gibt. Die Medienräte und Strafzahlungen, die die EU-Berater vorschlägt, dienen nicht dazu, die Pressefreiheit einzuschränken, wie das Zanetti behauptet. Sondern sie sollen Missbräuche der Pressefreiheit bestrafen. Das EU-Papier erwähnt dazu einen konkreten Fall: die Abhöraffäre der britischen Zeitung «News Of The World». Solche «massiven Missbräuche» hätten gezeigt, dass Medien bestraft werden müssen, wenn sie illegale Methoden anwenden. Gehört das Abhören von Telefongesprächen zur Pressefreiheit, wie sie Claudio Zanetti vorschwebt? Wohl kaum.

Der zweite Punkt, der Zanetti missfällt, sind die Subventionen. Zanetti unterstellt den Journalisten, es sei «mit dem kritischen Denken rasch vorbei», wenn «Geld winkt». Das ist Blödsinn. Denn heute passiert genau das Gegenteil: das kritische Denken und Schreiben ist bedroht, weil den Medien das Geld ausgeht. Staatliche Einflussnahme auf Medien, die Subventionen erhalten, lässt sich mit geeigneten Massnahmen vermeiden. Beispiel: SRF ist keineswegs ein «Staatssender», wie Zanetti & Co immer wieder böswillig behaupten, sondern die Unabhängigkeit vom Staat ist mit sorgfältig austarierten Mechanismen garantiert.

Belustigend wirkt Zanettis Einsatz für die Blogger: «Warum soll die Meinung eines einzelnen Bloggers weniger wichtig sein als jene eines grossen Mediums?» Hier zeigt sich einmal mehr, dass Zanetti das Original-Papier nicht gelesen hat. Er hätte das Papier aber unbedingt lesen müssen vor dem Schreiben seines Artikels. Denn es äussert sich sehr differenziert zu Blogs. Die EU-Berater schreiben zwar: «Das Wort Journalist würde jede Bedeutung verlieren, wenn es jeden bezeichnen würde, der einen Stift oder eine Tastatur halten kann.» Doch das Beratergremium sieht sich ausserstande, das Dilemma zu lösen: «Wir bedauern, dass wir keine klare Definition des Begriffs Journalismus liefern können.» Die Debatte müsse weiter gehen.

Das EU-Papier kann man hier herunterladen.

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