Eigentlich dachte ich, die Blogger-vs-Journalisten-Debatte sei längst beendet. Ich nahm an, es sei inzwischen klar, was Blogger und Journalisten leisten können und was nicht. Zu meinem grossen Bedauern stellte ich heute fest, dass das nicht so ist. Auf der Internetseite des Zürcher Pressevereins polemisiert der Blogger Ronnie Grob dermassen weitab von den Tatsachen, dass sich eine Richtigstellung aufdrängt.
Ronnie Grob nimmt Bezug auf ein witziges Video des Schweizer Fernsehens zum Thema «Braucht es ein Leistungsschutzrecht». Mit ausgeschnittenen Kartonfigürchen stellt das Video die wichtigsten Akteure der Medienlandschaft dar: Verleger, Publikum, Google und Blogger. Der gesprochene Text des SRF-Videos stösst Ronnie Grob sauer auf:
«Dann gibt es noch die Blogger: Sie nehmen Bezug auf die Inhalte, die von Journalisten erstellt worden sind, verweisen darauf, verwursten das aber in der Regel irgendwie, also tragen selber irgendwie Inhalte dazu.» – «Die Frage ist: Machen die wirklich etwas eigenes, oder kopieren die im wesentlichen die Inhalte der Journalisten?» – «Die, die das mehr so als Hobby machen, wo es weniger ums Geld geht, die möchten einen möglichst freien Zugang zu den Inhalten der Journalisten, damit sie es nehmen können und verwursten und etwas Neues daraus machen.»
Man spürt Ronnie Grobs Verletztheit deutlich, wenn er entgegnet: «Die Blogger sollten, nein, müssten sich beklagen. Denn sie werden dargestellt als komplett uninspirierte Typen, die nicht einen eigenen Inhalt herstellen könnten, wären da nicht die kreativen Ideen der Journalisten, die sie verwerten könnten. Das stimmt nur teilweise. Auf welche Inhalte von Verlegern und Journalisten bauen denn Blogs auf, die über ihren eigenen Alltag berichten? Wieso wird Kochbloggern, die eigene Rezepte ins Netz stellen, der originäre Inhalt abgesprochen?»
Nichts gegen Kochblogger und solche, die über ihren Alltag berichten. Es gibt sie zweifellos. Aber sie sind nicht in der Mehrheit. Ronnie Grob sollte, nein, müsste es wissen. Längst haben Wissenschaftler mit felsenfesten Zahlen bewiesen, dass ein grosser Teil der Blogbeiträge auf Pressemeldungen basiert – dazu gehören auch viele von Ronnie Grobs eigenen Blogtexten. Schon vor acht Jahren schrieben die amerikanischen Medienwissenschaftler Bryan Murley und Chris Roberts:
«Die Analyse der Blogs zeigt, dass Blogger oft Inhalte der Mainstream-Medien wiedergeben und Agenda-Setting auf einer zweiten Ebene betreiben. Fast die Hälfte (49 Prozent) der untersuchten Posts haben mindestens einen Link zu einem Mainstream-Medium. Bei politischen Blogs sind es sogar 56 Prozent. Das beweist, dass Blogger stark abhängig sind von den Mainstream-Medien für einen grossen Teil des Lesefutters, aus dem ihre Webseiten bestehen. Ausserdem entsprechen viele Themen in den Blogs den Themen, die vorher oder gleichzeitig in den Mainstream-Medien diskutiert werden.»
Ich finde es ausserordentlich ermüdend, dass Leute wie Ronnie Grob immer wieder behaupten, Blogger würden unabhängig von den professionellen Medien operieren – obwohl es seit Jahr und Tag sonnenklar ist, dass das nicht stimmt. Doch es kommt noch schlimmer. Mit einem verzweifelten Verteidigungsversuch probiert Ronnie Grob, die Journalisten seinerseits des seriellen Plagiats zu beschuldigen:
«Jeder, auch jeder journalistische Beitrag baut auf bereits Vorhandenem auf und beruht auf Ereignissen, Aussagen, Dokumenten. Diese werden aufgenommen, besprochen, zitiert, zum Teil mit eigenen Gedanken angereichert.»
Ich staune, dass Ronnie Grob, der seit einiger Zeit auch als Redaktor des Online-Medienmagazins Medienwoche tätig ist, auch im Jahr 2013 noch derart hanebüchene und realitätsferne Aussagen über professionellen Journalismus von sich gibt – und das ausgerechnet auf der Internetseite des Zürcher Pressevereins. Natürlich ist es richtig, dass nicht jeder Journalist mit jedem Beitrag absolut Unerhörtes enthüllen kann. Doch ein Journalist, der einen Funken Berufsstolz hat, beschränkt sich niemals darauf, Texte anderer Journalisten abzuschreiben und mit seiner persönlichen Meinung zu garnieren, so wie das die meisten Blogger machen. Journalisten, die ihren Beruf leidenschaftlich ausüben, versuchen immer, etwas Neues herauszufinden und einen Schritt weiter zu gehen als die Konkurrenz – und wenn möglich sogar einen Primeur zu landen.
Ronnie Grob sollte, nein, müsste das wirklich langsam wissen.