Bendicht Fivian: Gegen «peinture»

Donnerstag, 27. Dezember. Der Tages-Anzeiger bringt auf der Aufschlagseite des Kulturbundes ein ganzseitiges Interview mit der Schönheitschirurgin Cynthia Wolfensberger. Auch mit dem grosszügigsten Kulturbegriff wird einem nicht klar, was dieses Interview im Kulturteil zu suchen hat (auch wenn der Kulturteil jetzt «Kultur & Gesellschaft» heisst). Bettina Weber stellt dermassen banale Fragen: «Was wünschen sich Männer?» oder «Sind Angelina Jolies Lippen nicht viel zu gross?» Zwei Drittel der zweiten Kulturseite füllt ein Artikel über die BBC. Kultur findet auf der Kulturseite nur noch am Rand statt.

Ausserhalb des Tages-Anzeiger lebt die Kultur. Zum Beispiel im Kunstmuseum Winterthur, das zur Zeit Bilder von Bendicht Fivian zeigt. Fivian hat dem Genre der Landschaftsmalerei neues Leben eingehaucht. Indem er dort hinschaut, wo sich niemand gerne lange aufhält, zum Beispiel an den Rand einer Autobahn. Besonders gut gefallen hat mir ein grossformatiges Bild einer Kiesgrube. Grosszügig modelliert Bendicht Licht und Schatten. Die Grenze dazwischen verläuft in scharfen, zackigen Linien. Das Bild wirkt fast wie ein abstraktes Kunstwerk. Wie bei anderen Bildern hat Bendicht Fivian die Leinwand zuerst mit einer Farbe grundiert, die er nachher mit anderen Farbtönen übermalt, so dass die erste Farbschicht durchscheint. Beim Kiesgrubenbild ist es ein Dunkelblau, das fast so intensiv leuchtet wie die berühmten Blautöne von Yves Klein.

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An der Schule für Gestaltung, wo Bendicht Fivian eine Zeitlang mein Zeichenlehrer war, wetterte er immer gegen «peinture». Für ihn war «peinture» ein Schimpfwort, das virtuose, aber kraftlose Malerei bezeichnete. Mit «peinture» hat Bendicht Fivians Kunst nichts zu tun. Seine Pinselstriche sind voll Leben, er malt gekonnt und frisch und völlig originell.

Grossartig ist auch eine Serie von Aquarellen, die Bendicht Fivian vor einem Jahr in Berlin gemalt hat. Mit der Zeit merkt man, dass die Bilder immer die gleiche Situation zeigen, aber jeweils von anderen Standpunkten aus. Eine Lampe, ein Betonträger und ein Stück Mauer. Vielleicht ist es ein Stück der Berliner Mauer? Auch hier schafft Fivian aus einem banalen, hässlichen Brachland eine ganze Serie spannender Kompositionen.

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Bendicht Fivian: Werke aus der Sammlung. Kunstmuseum Winterthur, bis 1. April 2013.

Über agossweiler

Journalist
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