Gestern abend bekam der Begriff Multikulti einen ganz neuen Sinn – in der Aktionshalle der Roten Fabrik. Zu Film und Konzert geladen hatten die Elliniki Kinotita Zyriche (Griechische Gemeinde Zürich) und der jüdische Filmclub Seret. Von beiden Organisationen hatte ich nie vorher gehört. Doch sie schafften es, die Aktionshalle bis auf den letzten Platz zu füllen, einige mussten sogar stehen.
Seret und Elliniki Kinotita zeigten den Film My Sweet Canary, der das Leben der griechischen Sängerin Roza Eskenazi erforscht. Der Film zeigt eindrücklich, wie sich verschiedene Kulturen vermischen und gegenseitig befruchten. Eskenazi ist ja kein typisch griechischer Name. Doch Roza Eskenazi war eine der beliebtesten Rembetiko-Sängerinnen. Rembetiko entstand vor rund hundert Jahren, als viele Griechen aus der Türkei vertrieben wurden. In griechischen Hafenstädten entstand eine neue Subkultur, die Elemente der türkischen Musik und der griechischen Tradition verband. Verblüffend, wie Rembetiko-Gruppen europäische Instrumente wie Violine und Akkordeon kombinieren mit östlichen Instrumenten wie der Oud. Und wie sie die europäische harmonische Tradition mit dem ganz anderen türkischen Verständnis von Melodie verbinden. Im Griechenland der 20er Jahre war diese Fusion möglich.
Roza Eskenazi gab dieser Verbindung von ganz verschiedenen Traditionen, die an der Grenze zweier Kontinente entstand, eine kraftvolle Stimme. Heute würde man sie als Powerfrau bezeichnen. Mit 15 bekam sie einen Sohn, der in einem Waisenhaus aufwuchs, weil sie Musik machen wollte und weil sich der Vater des Sohnes aus dem Staub gemacht hatte, und vielleicht auch aus anderen Gründen, die mir nicht präsent sind. Im Zweiten Weltkrieg entging sie der Deportation, weil sie eine Beziehung hatte mit einem deutschen Offizier, was sie nicht daran hinderte, den Widerstand aktiv zu unterstützen. Eine verrückte Geschichte. Nach dem Krieg trat sie auch in den USA auf. In Griechenland war Rembetiko damals nicht mehr populär. Doch in den 70er Jahren erlebte sie das Revival dieser Musikform.
Die griechische Gemeinde und der jüdische Filmclub zeigten in der Roten Fabrik also den Film über Roza Eskenazi, den der israelische Regisseur Roy Sher gedreht hatte. Spannend ist nicht nur die Verbindung zwischen türkischer und griechischer Kultur, sondern auch der jüdische Hintergrund der Sängerin Roza Eskenazy. Sie wuchs als Kind sephardischer Juden in Konstantinopel und Saloniki auf und zog später nach Athen. Sie sang nicht nur Lieder in türkischer und griechischer Sprache, sondern auch in Ladino. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Ladino die Sprache der Juden, die im Mittelalter aus Spanien vertrieben wurden und die sich in der Türkei niederliessen. Wir haben hier also Einflüsse von vier Kulturen: der türkischen, griechischen, jüdischen und spanischen Kultur.
Und all das konnte ich lernen dank des Anlasses, den die griechische Gemeinde und der jüdische Filmclub in Zürich organisierten.
My Sweet Canary. A journey through the life and music of Roza Eskenazi. Roy Sher 2011 Mehr Infos