«Falsche und gefährliche Rede vom Untergang der Printmedien»

Seit zweieinhalb Jahren amtiert der frühere Internet-Unternehmer Peter Hogenkamp als Leiter Digitale Medien der NZZ-Medien. In seinem Blog argumentiert er anlässlich des Untergangs der Frankfurter Rundschau immer noch eher wie ein Internet-Unternehmer als wie ein Mitarbeiter eines Zeitungsverlages:
● Hogenkamp bestreitet glattweg den offensichtlichen Zusammenhang zwischen dem Gratisangebot im Internet und der wirtschaftlichen Krise der Zeitungen.
● Er erwähnt Bekannte, die ihre Zeitung abbestellt hätten, weil sie sie «über Monate ungelesen ins Altpapier» gegeben hätten.
● Und er paraphrasiert einen US-Internet-Apostel, der offenbar glaubt, die Zeitungen erledigten ihren «Job nicht mehr so gut wie früher».

Solche pessimistischen Pamphlete zur Zukunft der Zeitungen wurden in den letzten Jahren dutzendfach verfasst, meistens von digital-begeisterten Bloggern oder Internet-Unternehmern. Diese «so oft und penetrant vorgetragene Rede vom Untergang der Printmedien» sei «auf eine fatale Weise falsch und letztlich gefährlich», schreibt der deutsche Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen heute im Tages-Anzeiger (nicht online verfügbar). Pörksen warnt, die Brandreden der Internet-Euphoriker könnten sich «in eine selbst erfüllende Prophezeiung verwandeln»:

«Irgendwann sind die Zeitungen vielleicht wirklich am Ende (…), womöglich einfach deshalb, weil man sie mit einer solchen Energie ins Grab geredet hat.»

Bernhard Pörksen fordert deshalb:

«Man darf die Debatte über das Wesen und den Wert des Gedruckten nicht allein den so selbstbewusst formulierenden Apokalyptikern überlassen. Es gilt, sie breiter zu führen, sie aus der rein ökonomischen Umklammerung zu befreien.» (…) «Noch fehlt die sich lautstark und wirksam artikulierende Lobby des Zeitungsjournalismus. (…) Die Beewusstseinsbildung für den Wert des Gedruckten findet im Moment seiner grössten Krise nicht ausreichend statt.»

Da ist etwas dran. In den hiesigen Medienblogs (Medienspiegel, Medienwoche usw.) melden sich ausnahmslos Internet-Unternehmer wie Martin Hitz oder Web-Apostel wie Ronnie Grob zu Wort. Journalisten mit Praxiserfahrung kommen in diesen Blogs nur selten zu Wort. Für Bernhard Pörksen steht nicht nur der «wunderbare Beruf» der Journalisten auf dem Spiel, sondern auch wichtige Werte der Zeitungsleser/innen:

«Im Gegensatz zum Netz, das Ad-hoc-Kommunikation und blitzschnelle Aktualisierung ermöglicht, programmieren Printmedien die Entschleunigung, die Verzögerung. Und diese unvermeidliche Verzögerung kann auch ein Vorteil sein, den es sichtbar zu machen gilt.»

Der Medienwissenschaftler beschreibt die Vorzüge der Zeitungen wie folgt:

«Zeitungen versorgen, wenn es gut läuft, die Gesellschaft Tag für Tag mit neuen Deutungsvorschlägen und Wahrnehmungen. Sie verwandeln Ahnungen in Behauptungen und individuelle Befindlichkeiten in Begriffe; sie verknüpfen Besonderes und Allgemeines, Konkretes und Abstraktes, sie geben Orientierung in der eigenen Nahwelt und liefern gleichzeitig das grössere Bild, die umfassendere Perspektive.»

Über agossweiler

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7 Antworten zu «Falsche und gefährliche Rede vom Untergang der Printmedien»

  1. Peter Hogenkamp schreibt:

    Lieber Herr Gossweiler

    Danke für die Replik. Ich freue mich immer, auch etwas von der „anderen Seite“ zu hören. Zustimmung ist nett, aber ich weiss ja eh, dass nicht alle zustimmen.

    Zu Ihren drei eingangs genannten Punkten:

    «Hogenkamp bestreitet glattweg den offensichtlichen Zusammenhang zwischen dem Gratisangebot im Internet und der wirtschaftlichen Krise der Zeitungen»

    Selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Internet und der Krise der Zeitungen. Wenn man morgen das Internet abstellen würde und es ausser der Tagesschau keine Möglichkeit gäbe, sich über Nachrichten zu informieren, sähe vieles anders aus. Aber solche Gedankenspiele bringen wenig.

    Ich hatte geschrieben, dass es keinen alleinigen Grund für die Misere der Verlage gibt, schon gar nicht die vermeintliche «Gratiskultur». Diese Gratiskultur, egal, wie oft sie zitiert wird, ist eine Chimäre, in die Welt gesetzt von Leuten, die mit halbherzigen Bezahlangeboten gescheitert sind und sich jetzt ärgern, dass es eine Leistung, für die sie gern Geld nehmen würden, kostenpflichtig zu wenig nachgefragt wird.

    Ich zahle für diverse Online-Dienste, jeden Tag bzw. für die meisten als Jahresabo. Aber ich zahle nur für Dienste, die mir einen konkreten Mehrwert stiften, den ich ich gratis nicht bekommen kann (oder nur auf allzu mühsamem Weg).

    Zum zweiten Punkt: Was wollen Sie damit sagen? Dass ich lüge? Dass meine Bekannten, die mir das erzählt haben, lügen?

    Zum letzten Punkt: Es hätte sich wirklich gelohnt, wenn sie den Link angeklickt und den Artikel gelesen hätten. OK, er ist etwas lang, also nicht den ganzen Artikel, sondern nur den Teil über „jobs to be done“: http://www.nieman.harvard.edu/reports/article/102798/Breaking-News.aspx#part1

    Der Teil über IKEA ist harmloser, weil wir beide nicht selbst betroffen sind:

    To illustrate the importance of focusing on jobs-to-be-done, let us give you an example in a totally different industry: the furniture store IKEA. It’s been incredibly successful: The Swedish company has been rolling out stores all over the world for the last 50 years and has global revenues in excess of $32.6 billion. So why, when there are so many furniture store chains out there, has IKEA been so successful?

    A big part of it is that rather than being organized around particular products or demographic profiles, IKEA is structured around a job that many consumers confront quite often as they establish themselves and their families in new surroundings: „I’ve got to get this place furnished tomorrow, because I have to show up at work the next day.“

    IKEA has made a number of strategic decisions in order to best fulfill this job. For example, IKEA stores are often built in quite distant locations. This might seem counterintuitive, but it enables IKEA to set up huge warehouses so that everything a customer needs can be purchased in one trip. IKEA offers same-day delivery; customers might not be able to fit everything they need in their cars, but they don’t want to have to make multiple trips and can’t afford to wait until tomorrow for everything to arrive. Similarly, because having children running around the store might distract them fromremembering everything they need to buy, IKEA introduced day care facilities. And in case you get hungry during your shopping trip, you don’t even need to leave the premises—every IKEA store has a restaurant.

    Everything IKEA does revolves around doing the job of „I need this apartment or home furnished, and I need it done quickly and efficiently.“

    ++

    Clayton M. Christensen ist kein „Internet-Guru“, sondern ein BWL-Professor an der Harvard Business School: http://en.wikipedia.org/wiki/Clayton_M._Christensen. Sein berühmtestes Buch heisst „The Innovator’s Dilemma“, Untertitel der deutschen Ausgabe: „Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren“. http://www.books.ch/buecher/wirtschaft_recht/wirtschaft/management/detail/ISBN-9783800637911/Christensen-Clayton-M.-Eichen-Stephan-Friedrich-von-den-Matzler-Kurt/The-Innovators-Dilemma

    Genau um diesen Untertitel geht es bei unserer Diskussion. Können Verlage, obwohl sie «etabliert» sind, ihre Geschäftsmodelle an die bahnbrechende Innovation Internet adaptieren oder nicht? Wer meint, das sei nur eine Frage der «Bewusstseinsbildung», spielt ein gefährliches Spiel.

    Bei der NZZ versuchen wir derzeit genau das: Zu adaptieren, ohne die etablierten Modelle, die ja nach wie vor für den Grossteil von Umsatz und Gewinn verantwortlich sind, über Bord zu werfen.

    Ich freue mich, wenn wir die Diskussion gelegentlich persönlich fortsetzen können.

  2. agossweiler schreibt:

    Lieber Herr Hogenkamp

    Ich danke Ihnen für Ihre Antwort. Der entspannte Ton Ihrer Antwort hebt sich wohltuend ab von der manchmal aufgeregten oder sogar aggressiven Art anderer Internet-Apologeten, auf Kritik zu reagieren.

    Zu Punkt 1: Die Gratiskultur ist keine Chimäre. Wie oft höre ich von anderen Leuten: Ich brauche diese Zeitung oder jene Zeitschrift nicht, weil ich alles gratis im Internet finde. Das ist die Realität. Viele Leute fragen sich, warum sie Geld ausgeben sollen für Medienprodukte, derweil sie ein grosses Gratisangebot im Internet vorfinden. Natürlich sind die Verleger mitschuldig, die ihre Qualitätszeitungen mit Gratisblättern konkurrenzieren und einen Teil des zahlungspflichtigen Contents im Internet verschenken. Daneben gibt es viele PR-Seiten im Netz, die zum Beispiel Informationen zu Gesundheitsthemen anbieten. Viele Leser/innen sind nicht in der Lage, den Unterschied zwischen PR-Seiten und unabhängigem Journalismus wahrzunehmen. Das ist auch ein Aspekt der Gratis(un)kultur. Eine Chimäre ist das nicht.

    Zu Punkt 2: Ich wollte keinesfalls sagen, dass Sie oder Ihre Bekannten lügen. Ich kenne selber Leute, die keine Zeitung lesen. Ich verstehe jedoch nicht, warum sich Leute ohne Notwendigkeit des grossen Vergnügens berauben, eine Tageszeitung zu lesen. Die Häppchen im Internet sind kein gleichwertiger Ersatz für eine gute Tageszeitung.

    Zu Punkt 3: Der von Ihnen verlinkte Text ist tatsächlich zu lang. Ich habe keine Lust, ellenlange Traktate im Internet zu lesen. Deshalb habe ich mich darauf beschränkt, den von Ihnen formulierten Satz zu zitieren, der vermutlich eine Art Quintessenz des Originaltexts ist. Persönlich bin ich der Meinung, dass viele Zeitungen ihren Job den Umständen entsprechend nach wie vor gut machen. Wobei natürlich Personalabbau und Ertragsrückgang diese Arbeit nicht einfacher gestalten. Auch im Zeitalter der schnellen Information durch das Internet erfüllt die Tageszeitung immer noch eine wichtige Funktion. Es ist das grosse Verdienst von Bernhard Pörksen, dass er diese Funktion brilliant erklärt hat.

    Ich freue mich auch auf weitere Diskussionen mit Ihnen!

  3. Peter Hogenkamp schreibt:

    Ich bin eben nicht «so einer» von diesen Internet-Apologeten. 🙂 Zwei, auf die das Wort viel mehr zutrifft als auf mich, Sascha Lobo und Kathrin Passig, haben übrigens neulich ein Buch geschrieben, in dem sie finden, dass die Debatte viel mehr versachlicht gehört. Das finde ich schon lange. Oft meint man das gleiche und will sogar dasselbe erreichen (das wollte wir beide übrigens auch: etablierte Medienmarken bewahren), aber polemisiert trotzdem öffentlich munter drauflos. Das machen wir nicht.

    Also, nochmal kurz: Es gehören ja eigentlich alle drei Punkte zusammen. Die Leute wollen keineswegs alles gratis, sondern sind bereit, gern zu zahlen (wie über 12’000 Digital-Abonnenten der NZZ beweisen), wenn sie einen Zusatznutzen gegenüber der Gratiswelt erkennen. Unsere Aufgabe ist es, den herauszuarbeiten, und es so gutes «Bündel» anzubieten, dass die Abonnenten bei der Stange bleiben.

    Dass viele Leser/innen nicht in der Lage sind, den Unterschied zwischen PR-Seiten und unabhängigem Journalismus wahrzunehmen, wie Sie richtig schreiben, ist ein verwandtes Thema. Auch da müssen wir aktiv gegensteuern. Aber letztlich ist es eine Abstimmung mit den Füssen.

    Unser Verkaufspitch an potenzielle Digital-Abonnenten der NZZ geht derzeit so:

    – Gewohnte NZZ-Qualität schneller als früher…
    (siehe http://usa2012.blog.nzz.ch/, was noch eher experimentell war, aber sich durchaus von den anderen „Livetickern“ abgehoben hat, indem meine Kollegen sich gefragt haben: „Wie macht man sowas als NZZ?“)

    – … auf allen (technischen) Kanälen…
    (Web, iPhone, iPad, andere Smartphones und Tablets)

    – … in verschiedenen Darstellungsformen…
    (E-Paper/Replica oder Webpaper/Non-Replica oder in der Darstellungsform einer „normalen“ Website wie NZZ.ch)

    – … nach und nach angereichert um diverse Zusatzleistungen.
    (Beispiel Archivzugang, vielleicht mal weitere, „Club“-artige)

    Und natürlich wollen wir alle Print-Abonnenten so lange wie möglich behalten, aber wir sagen sehenden Auges: Lieber, einer, der als Print-Abonnent mit der Kündigung liebäugelt, bleibt als Digital-Abonnent, als dass er ganz verschwindet.

    Und nun sind wir wieder bei den Print-Abonnenten, die sich „ohne Notwendigkeit des grossen Vergnügens berauben“: Wenn man ihnen genug digitalen Zusatznutzen bietet, finden sie es vielleicht nicht schlimm, wenn sie realisieren, dass sie die Zeitung nicht mehr jeden Tag lesen.

    Das ist unser momentanes Angebot, um uns von „gratis“ abzugrenzen. Und ich glaube: Das reicht noch nicht, wir müssen noch mehr tun, noch mehr Nutzen stiften im Sinne der „jobs to be done“ von Christensen. Was das ist, weiss ich leider auch noch nicht. Aber wenn die Paywall funktioniert, und danach sieht es bisher aus, haben wir mit dem heutigen „Bundle“ ein paar Jahre Zeit gewonnen, um darüber nachzudenken.

    Aber nachdenken müssen wir weiterhin, und deswegen schreibe ich des nachts manchmal (selten genug) solche Pamphlete, die nach Apologetik aussehen.

    • agossweiler schreibt:

      Ich finde auch, dass man die Debatte versachlichen sollte. Super, dass Sie einen Beitrag dazu leisten.

      Als Journalist ist mir natürlich ein Digital-Abonnent auch lieber als einer, der ganz verschwindet. Persönlich hat für mich als Leser die Zeitung auf Papier Vorteile, aber das war nicht das primäre Thema dieses Blogartikels. Ich denke, Bernhard Pörksen geht es in erster Linie um die Inhalte, weniger um das Trägermedium.

      Der NZZ-Liveticker zu den US-Wahlen sieht sehr attraktiv aus – da steckt auch tatsächlich mehr Information drin als bei anderen Tickern.

    • Michael schreibt:

      Das sind löbliche Massnahmen, unabdingbare sogar. Aber:
      „Und ich glaube: Das reicht noch nicht, wir müssen noch mehr tun, noch mehr Nutzen stiften im Sinne der “jobs to be done” von Christensen. Was das ist, weiss ich leider auch noch nicht.“
      Sehr richtig, mehr muss eine NZZ tun. Und unter mehr erwarte ich als Leser einfach noch mehr noch bessere Inhalte. Ich bin jung, mit dem Internet aufgewachsen, lese aber auch seit vielen Jahren in verschiedenen Zeitungen. Ich kann mich noch an eine Wochenendbeilage der NZZ erinnern, die mit grossartigen Bildern und langen Texten glänzte. Ein Alleinstellungsmerkmal, ein USP sozusagen, weil niemand sonst solch ein Format angeboten hat. Dann wurde diese Beilage gestrichen. Zu teuer wohl. Begründet wurden diese und andere Angebotsreduktionen mit sich ändernden Lesegewohnheiten: „Die Leute wollen nicht mehr so lange Texte lesen“, zum Beispiel. Was für ein Unsinn, wie der Erfolg des New Yorkers, der Zeit, von GEO. Brand eins etc. beweisen. Ich könnte noch unzählige weitere aufzählen.
      Das Beispiel der Wochenendbeilage ist nur eines unter vielen. Und einer der Hauptgründe, wieso Bekannte ihre Zeitungen abbestellen. Die Zeitungen haben Leistungen abgebaut. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Und zwar meistens von Berufs wegen.
      Wer heute als Zeitung überleben will, muss diese Entwicklung korrigieren. Denn auch Tageszeitungen haben eine Zukunft. Wo, auf welchem Medium ist eigentlich egal. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich die NZZ doch wenn immer auf Papier lese und nur selten auf das iPad zurückgreife. Anders übrigens als beim New Yorker, den ich ausschliesslich auf dem iPad lese. Die New Yorker-App lässt die Texte irgendwie einfach gewichtiger erscheinen als die NZZ-App. Da habe ich das Gefühl den Texten wird nicht genügend Raum gegeben. Auf dem Papier wirken sie für mich noch substanzieller. Aber das ist wahrscheinlich eine Geschmacksfrage.

  4. Pingback: Pubertät im Umgang mit den Neuen Medien | SILVER TRAIN

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