Vor Jahren kaufte ich auf einem Flohmarkt in der Pampa westlich von Montréal einen alten Fahrplan – den Canadian Railway Guide von 1929. Der Umschlag ist von kleinen Mäusezähnchen angenagt, aber sonst ist der Fahrplan gut erhalten. Er enthält Inserate für die schlossähnlichen Hotels der Canadian National Railways und für Züge wie den «Continental Limited» oder «The Imperial», die quer durch den Kontinent fuhren.
Der Fahrplan des «Continental Limited» ist besonders interessant. Westlich von Winnipeg fuhr der Zug durch Arona, Bloom, Caye, Deer, Exira, Firdale. Dann folgten die Städtchen Gregg, Harte, Ingelow, Justice, Knox und Levine. Und so weiter, bis Yarbo und Zeneta an den Zugfenstern vorbei flitzten. Dann begann eine neue Abfolge von alphabetisch benannten Bahnhöfen mit Atwater, Bangor und Cana, die mit Xena, Young und Zelma aufhörte.
Die Orte der Transkontinentalstrecke sind alphabetisch angeordnet. Von Winnipeg bis Edmonton folgen drei mehr oder weniger vollständige Alphabete. Nach Victor und Welby folgt Spy Hill anstelle des ursprünglichen Ortsnamens mit X. Vielleicht haben die Einwohner irgendwann beschlossen, ihre Stadt anders zu benennen. Und nach Artland, Butze und Chauvin folgt Ribstone, erst nachher kommt Dunn. Vermutlich wurde Ribstone später gegründet, so dass auch hier das ABC durcheinander kam.
Die Linie wurde zwischen 1905 und 1914 gebaut von der Grand Trunk Pacific Railway, der dritten kanadischen Transkontinentallinie. Die Namensgebung nach alphabetischer Reihenfolge war möglich, weil es vor dem Bahnbau noch gar keine Siedlungen europäischer Einwanderer gab. Wer auf die Idee kam, die Stationen alphabetisch zu benamsen, ist nicht mehr bekannt. Die Idee ist jedoch zweifellos sehr praktisch: Je nach dem Fortschritt im Alphabet der Präriestädtchen kann man sich einfach merken, wie weit der Zug schon gefahren ist.
Der Canadian Railway Guide zeigt, dass auch eine Zweigstrecke nach dem ABC-Prinzip existierte: die Linie von Port Arthur am Lake Superior nach Sioux Lookout, das an der Transkontinentallinie liegt. Auch hier sind die Stationen nach dem fast vollständigen Alphabet angeordnet – nach Commee kommen Ellis, Flett, Griff, Horne. Weiter gehts mit James, Kelly, Larson, Mack. N fehlt. Dann Oscar, Petry, Quorn und weiter (ohne X) bis Yonde und Zarn.
Nach dem ersten Weltkrieg ging die Grand Trunk Pacific pleite und wurde von der Canadian National Railways übernommen. Grand-Trunk-Gründer Charles Hays ging schon vorher mitsamt der Titanic unter. Die alphabetischen Bahnlinien und die schlossähnlichen Hotels wie das «Fort Garry» in Winnipeg oder das «Château Laurier» in Ottawa sind die einzigen Überbleibsel der Grand Trunk Railway.