Die erstinstanzliche Verurteilung des Tagi-Journalisten Maurice Thiriet führte zu einer Debatte auf Twitter. Blogger und Journalisten diskutierten einmal mehr, ob Thiriet den Journalistenpreis für seinen Artikel über die Pseudo-Astronautin Barbara Burtscher zu Recht bekommen hat, derweil ein Blogger die gleiche Idee schon früher hatte, aber seinen Text nach Druckversuchen von Burtscher wieder vom Netz nehmen musste. Der Berner Fotograf Reto Camenisch führte die Diskussion per Mail mit mir weiter. Hier ist ein Auszug aus der Maildebatte:
Reto Camenisch: Du sagst, dass ein Schaden entsteht, wenn urheberrechtliche Werke kopiert werden, weil der Urheber um seinen Lohn gebracht wird. Ich empfinde diese Argumentation als zu simpel, weil du damit nur die monetäre Ebene besprichst und somit gängiges Recht gut heisst, das alle anderen «Schädigungen» ausblendet und somit nicht anerkennen möchte.
Andreas Gossweiler: Welche anderen Schädigungen?
RC: Kränkungen, das Gefühl an geistigem Eigentum bestohlen worden zu sein.
AG: Das stimmt. Natürlich gibt es beim geistigen Diebstahl auch die emotionale Ebene. Das verstehe ich sehr gut. Für mich persönlich wäre die emotionale Ebene aber weniger wichtig. Denn wenn mir jemand eine Idee klaut, bedeutet das ja auch, dass die Idee gut ist. Aber grundsätzlich hast Du natürlich recht.
RC: Auch deine Bemerkung, «dass eine Idee für einen Artikel nicht urheberrechtlich geschützt sei», ist mir zu unpräzis. Nur weil sie gesetzlich nicht geschützt ist, bedeutet das ja wohl kaum, dass sich jeder am Ideenpool anderer frei bedienen könnte.
AG: Doch, natürlich kann sich jeder frei bedienen. Jeden Tag bedienen sich Journalisten am Ideenpool. Journalisten sind grundsätzlich fantasielos, deshalb brauchen sie Ideen. Deshalb zapfen Journalisten das Wissen von Informanten, Insidern und Experten an, lesen so viel wie möglich, sprechen mit Leuten, lesen Twitter undsoweiter. Bei vielen Primeurs hatte ein anderer die Idee, nicht der Autor. Das ist kein Klau. Von Klauen würde man erst dann sprechen, wenn der Artikel fertig ist und publiziert wird und ein anderer Journalist den fertigen Text abschreibt ohne Quellenangabe.
RC: Ich weiss nicht, in was für einer journalistischen Umgebung du bist, aber in meiner sind einige unglaublich fantasievolle Menschen. Mich stört Deine Tendenz, absolut zu argumentieren. Du unterliegst der gängigen Meinung, dass Deine Interpretation von journalistischer Arbeit – das Verwenden von fremden Quellen in kreative Arbeitsprozesse – der einzig gangbare Weg sei. Du gehst auch von einer Autorenschaft im redaktionellen Betrieb aus, wo das Team ein wichtige Rolle im Kreieren von Geschichten spielt. Es gibt aber auch andere Wege: Egon Kischs Interpretation von Autorenschaft zum Beispiel.
AG: Es ist nicht meine Absicht, absolut zu argumentieren. Ich gebe einfach meine Erfahrungen wieder. Persönlich bin ich ziemlich fantasielos. Deshalb könnte ich nie als Schriftsteller arbeiten. Natürlich arbeitet jeder Journalist anders. Ich bin aber überzeugt, dass Ideen für Artikel nicht urheberrechtlich geschützt sind. Sonst gäbe es ja einen Markt für gute Ideen.
RC: Da müsste ich jetzt noch kurz dagegenhalten. Es gibt den Begriff des geistigen Eigentums. Heisst das nicht, dass eben auch ein Gedanke, der noch nicht materialisiert ist, eben durchaus schützenswert ist? Wir sind ja komplexe Wesen und funktionieren nicht rein physisch. Der Gedanke ist ein hochwirksames und schöpferisches Instrument, das uns ja auch von anderen Lebewesen unterscheidet. In diesem Zusammenhang erachte ich es als ausserordentlich wichtig, diesem Gedanken/Denken auch einen geschützten Raum zur Verfügung zu stellen – nicht zuletzt durch Gesetze. Ich geb’s zu, klingt etwas arg nach Überregulation. Ich habe aber einfach keine andere Idee, kreativen Denkern Schutz anzubieten.
AG: Juristisch gesehen sind tatsächlich nur Werke geschützt, nicht Ideen. Ich zitiere die Seite anwalt-im-netz.de: «Die Idee (griechisch: idea = Vorstellung) muss bereits in einem Werk zum Ausdruck gekommen sein. Aber bereits Skizzen können ein Werk sein.»
RC: Viele meiner Kollegen, mit denen ich Geschichten für den Spiegel, Facts, TagiMagi usw. machten, hätten gar keine Freude, wenn sich andere «à fonds perdu» bedienen täten und das auch noch als «comment» gelten würde.
AG: Natürlich hätte ich auch keine Freude, wenn ein anderer Journalist, der für die Konkurrenz arbeitet, eine meiner Ideen umsetzen würde. Deshalb achte ich sorgfältig darauf, dass meine Ideen nicht zur Konkurrenz durchsickern, bevor der Text veröffentlicht wird. Wenn ich eine gute Idee habe, möchte ich ja, dass ich der erste bin, der die Idee umsetzt. Daraus würde ich aber kein Copyright für gute Ideen ableiten. Eben weil Ideen nicht urheberrechtlich geschützt sind, muss man sorgfältig darauf achten, dass niemand sie einem wegschnappt. Bei der Burtscher-Geschichte lag der Fall aber anders: Die Idee hatte ein Blogger, aber er konnte sie nicht umsetzen (beziehungsweise: er musste seinen Text wieder löschen), weil er kein Geld hatte für einen Anwalt. Deshalb finde ich es falsch, wenn Blogger wie Wampfler in diesem Zusammenhang immer noch von Klauen sprechen. Natürlich gebührt dem Blogger der Ruhm, dass er die Idee hatte. Aber eben: Ideen genügen nicht, man muss sie auch umsetzen können. Und da hat ein Blogger nun mal schlechtere Voraussetzungen als ein Journalist, der für einen Verlag arbeitet.
RC: Das sehe ich auch so. Die idee reicht nicht aus, man muss sie auch realisieren und wenn immer möglich professionell. Und da finde auch ich, dass Blogger oftmals bestenfalls semiprofessionelle Arbeit anbieten, was der guten Absicht schlussendlich kontraproduktiv gegenübersteht.