Von vielen Seiten gab es Vorschusslorbeeren für die neue Zeitschrift mag20. Nichts weniger als die «Versöhnung von Print und Online» sieht die Medienwoche im neuen Projekt. Der Initiant, der dipl. Wirtschaftsprüfer Markus Bucheli, wurde eingeladen, sein «Crowdsourcing-Magazin» an den Medientagen in München vorzustellen. Er sieht das mag20 als «Plattform zur gesellschaftlichen Mitbestimmung». Hehres Ziel oder wohlklingendes Blabla?
Das Prinzip ist einfach: Auf der Seite mag20.com «können alle Beiträge schreiben», so Bucheli. Eine Redaktion gibt es nicht, womit Bucheli natürlich enorm Kosten spart. Die Anzahl Weiterempfehlungen über Facebook, Twitter oder Google+ entscheidet, welche Beiträge in der einmal pro Woche erscheinenden Printausgabe erscheinen. Das verlockt die Autorinnen und Autoren zu allerlei Unfug: Tweets wie «Ich hab jetzt auch was bei @mag20news eingestellt, bitte liken!» machen jetzt die Runde. Sodass man sich fragt, ob die Beiträge gedruckt werden, deren Autoren die meisten Freunde mobilisieren können, oder die Texte, die den Lesern am besten gefallen, so wie das Bucheli vorschwebt. Die Möglichkeiten für Manipulation sind vielfältig.
Ob mag20 Print und Online versöhnen kann, ist eine interessante Frage. Das Konzept des mag20 leistet vermutlich eher einer regressiven Entwicklung Vorschub: Wer gedruckt wird, hat einen Prestigegewinn gegenüber den Autoren, deren Werke nur auf der Internetseite sichtbar sind. In seinem spannenden Buch «Weisse Magie» erklärt der deutsche Literaturwissenschafter Lothar Müller diesen Prestigegewinn aus historischer Sicht so: «Spätestens in den Lexika des 17. Jahrhunderts ist der Begriff des Autors mit definitorischer Strenge an das Gedrucktwerden gebunden.» Erleben wir dank mag20 also eher einen Rückfall in die Blütezeit der Printmedien als die Versöhnung mit dem Internet? Müller fasst zusammen: «Zur Konstellation moderner Autorschaft gehört, dass sie von der Druckerpresse beglaubigt wird.» Ganz ähnlich funktioniert mag20.
Inhaltlich bietet die soeben erschienene vierte Ausgabe eine bunte Mischung aus Blogtexten und Werken pensionierter Journalisten oder Studentinnen. Die Titelgeschichte ist ein Interview mit Fast-Miss Xenia Tchoumitcheva. Der Text wurde zuvor bereits in der neoliberalen Zeitschrift «Schweizer Monat» veröffentlicht. Im Interview darf Ayn-Rand-Leserin Tchoumitcheva Platitüden von sich geben wie «Im Kapitalismus sind die Menschen frei».
Im scharfen Gegensatz zum Missen-Interview steht ein Blogtext der Autorin Sofia Esteves, die für «Ethik im Steuerstreit» plädiert. Allerdings ohne genau zu erklären, welches Vorgehen für sie ethisch korrekt wäre. Die Autorin gibt denn auch unumwunden zu, sie kenne und verstehe das Steuerabkommen mit Deutschland nicht in allen Details. Diesen saloppen Approach kann man sich in einem Blog leisten, wirkt aber eher hilflos in einem gedruckten Magazin. Dazu gesellen sich wohltemperierte und auf mich eher einschläfernd wirkende Texte über Menschenrechte (von der ägyptischen Politologin Elham Manea), Homosexualität als Asylgrund oder «das neue Epizentrum Asien» (von Peter Achten). Qualitativ im unteren Bereich bewegen sich Texte über «Frauen, die nicht mehr kochen können» und mythisch überhöhte Automarken («Kaum ein britischer Autobauer hat es über 100 Jahre geschafft, die Autofans so in seinen Bann zu ziehen wie Rolls-Royce»).
Eigentlich ist es erfreulich, wenn in der Medienkrise ein neues Magazin erscheint. Doch mit dieser inhaltlichen Mischung, die zwar durchaus ein gewisses Niveau, aber keine klare Linie hat und nichts wirklich Spannendes bietet, ist mag20 überflüssig.
Update: Hier beschreibt Blogger/mag20-Autor Daniel Menna sein «Gefühl, dass die Verantwortung grösser ist, wenn meine Worte gedruckt werden.»
Update 30.9.: Nach nur acht Wochen wirft mag20 das Handtuch. Heute schreibt mag20-Gründer Markus Bucheli, das Magazin unterbreche den Betrieb «auf unbestimmte Zeit». Als Grund gibt Bucheli an, die Inserate-Einnahmen seien zu gering und mag20 habe keine Möglichkeiten, um die Zeit bis zur Verbesserung der Situation zu überbrücken. Dieser Grund erstaunt, schrieb die Medienwoche doch im August: «Dank einem Darlehen von BaZ-Investor Georges Bindschedler ist die Startphase des Medienexperiments finanziell gesichert.» Hat Bindschedler den Glauben an das von ihm unterstützte Projekt schon nach wenigen Ausgaben verloren? mag20-Autoren äussern in der Kommentarspalte des mag20 ihre Empörung, dass die in der letzten Woche eingereichten Beiträge nicht mehr gedruckt werden.
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„[…]ob die Beiträge gedruckt werden, deren Autoren die meisten Freunde mobilisieren können, oder die Texte, die den Lesern am besten gefallen“ Das war bisher immer so und es kamen dabei trotzdem gute Beiträge heraus, weil sich die Masse auch wenn es nur Freunde sind nicht geirrt hat.
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