Diesen Sommer feiert die Ausstellung Art and the City den Stadtteil Zürich-West. «Hier bildet sich ein neues Stadtgefühl heraus», jubelt Kurator Christoph Doswald in der Ausstellungszeitung. «Künstlerinnen und Künstler haben das Territorium schon früh erkundet und in den 1990er Jahren in leeren Fabrikhallen ihre Studios und Ausstellungsräume eingerichtet.» Heute befinden sich in Zürich-West, so Doswald, «Galerien und Museen von internationaler Bedeutung.» Bald ziehe auch die Kunsthochschule in die frühere Toni-Molkerei ein. Die Zahl der Einwohner wird in den nächsten drei Jahren von 3200 auf 4900 steigen.
Der Mieterverband Zürich beleuchtet die Entwicklung im neuen Trendquartier aus einer anderen Perspektive: Er bestellte eine Studie zur Entwicklung in Zürich-West beim Forschungsinstitut Inura Zürich (Inura ist die Abkürzung für International Network for Urban Research and Action). Die Studie wird im Herbst veröffentlicht. In der Zeitschrift «Mieten & Wohnen» und an einer Veranstaltung im Helsinki-Klub stellte der Mieterverband erste Erkenntnisse der Studie vor.
Philipp Klaus, einer der Autoren der Studie, stellt fest, dass die Stadt im Quartier teure Infrastrukturbauten finanziert, so für die neue Tramlinie, den Pfingstweidpark und den Umbau des Bahnhofs Hardbrücke. Doch die Nutzniesser dieser Infrastrukturbauten seien «fast nur börsenkotierte Immobilienunternehmen, die bauen und grosse Gewinne realisieren», sagt der Forscher in einem Interview der Mitgliederzeitschrift des Mieterverbands. Laut einem Handout beziffert Inura die Gewinne der Immobilienfirmen auf 3 bis 5 Mia. Franken. Dem gegenüber stehen öffentliche Investitionen von 600 bis 900 Mio. Franken.
Philipp Klaus rechnet vor, dass von rund 1200 Wohnungen entlang der neuen Tramstrecke, die derzeit gebaut werden, über 700 Eigentumswohnungen seien. «Neue Genossenschaftsbauten wird man in Zürich-West vergeblich suchen.» Auch liege der Zweitwohnungsanteil und der Wohnflächenverbrauch pro Person weit über dem Durchschnitt. Der Forscher konstatiert in Zürich-West die «Tendenz, Stadtentwicklung für Privilegierte» zu betreiben. In Zürich habe die BZO-Hoffmann, die der Kanton der Stadt in den 90er Jahren aufnötigte, die Weichen gestellt: «Die Pfingstweidstrasse wurde in einen sogenannten städtischen Boulevard umgebaut, aber die Stadt hat keinen Wohnungsbau für Einkommen unter 100’000 Franken ausgehandelt und wird selber nur wenige Wohnungen realisieren.» In der neuen Wohnsiedlung Hardturmpark wird eine 3,5-Zimmer-Mietwohnung laut Inura rund 3300 Franken kosten, eine 3,5-Zimmer-Eigentumswohnung in der 23. Etage des geplanten Hochhauses 4,5 Mio. Franken.
In der Juli-Ausgabe von «Mieten & Wohnen» doppelt die Zürcher Gemeinderätin Jacqueline Badran nach: «Da werden Millionen an Planungsgewinnen eingestrichen, und die Stadt hat nichts davon.» Die Steuerzahler müssten die Infrastruktur bezahlen, aber Baukonzerne könnten den Mehrwert abschöpfen.
Update 11.1.2013: Der Mieterverband sucht 200 Käufer und Sponsoren, um die Inura-Studie zu drucken und zu veröffentlichen. Ab 20 Franken erhält man die Studie, ab 100 Franken ist man Sponsor. Infos hier
Am 7. Februar stellt Philipp Klaus die Studie vor, und Jacqueline Badran diskutiert mit Mobimo-CEO Christoph Caviezel, dem Urban-Management-Experten Andreas Loepfe und einem Vertreter der Stadt im Restaurant Escherwyss. Infos hier
Fotos: Andreas Gossweiler