Piratenpartei: Keine Ahnung von Medientheorie

In Deutschland hat die Piratenpartei erste Achtungserfolge erreicht. Politikinteressierte diskutieren, on die Piraten «eine ganz normale Partei» sei oder die Stimme des «digitalen Wutbürgertums». In der Schweiz sind die Piraten noch nicht so weit. Ich bin zwar weder Mark Balsiger noch Michael Herrmann, aber dennoch wage ich eine kurze Analyse: Die Piraten kommen in der Schweiz nicht auf Touren, weil diese Partei nicht einmal bei ihrem Kernthema, dem Urheberrecht, über fundierte Kompetenzen verfügt. Das zeigt sich jedesmal mit erschreckender Deutlichkeit, wenn Piraten miteinander in der Öffentlichkeit kommunizieren.

Da gibts zum Beispiel Patrik Hafner, Vizepräsident der St. Galler und Appenzeller Piratenpartei. Heute hat er sich einen Vergleich zwischen Backwaren und Massenmedien ausgedacht. Hafner twittert: «Ich verkaufe in Zukunf meine Gipfeli für 1.60 wer die Gipfeli mit Freunden teilt bezahlt 30 rp mehr, auf Mehl verlange ich 15rp Abgabe.» Flugs fügt er an: «Ihr seht ich lerne von der Contentmafia schnell» David Herzog, ein anderer Pirat, antwortet: «Die Leerträgerabgabe für die Papiersäckli nicht vergessen! Schliesslich knnen sie wiederverwendet werden!»

Dieser launige Vergleich mit Gipfeli und Papiersäckli zeigt deutlich, dass die Piraten von Medientheorie keine Ahnung haben. Dennoch masst sich Vizepräsident Hafner an, die Kultur- und Medienschaffenden als «Mafia» zu beschimpfen, also als kriminelle Organisation. Ich habe selber gerne ab und zu Vergleiche mit der Lebensmittelproduktion angestellt: Weder ein Gipfeli noch eine Pizza oder sonst etwas Essbares gibt es gratis, wenn man es übers Internet bestellt. Nur Medienprodukte sollen nach dem Willen der Piraten im Internet gratis verfügbar sein. Das ist nicht logisch.

Hafners Gipfelivergleich ist jedoch kreuzfalsch. Wer ein Gipfeli mit Freunden teilt, kann nur einen Teil des Gipfelis selber essen. Den Rest essen die Freunde. Je mehr Freunde, umso kleiner der Happen. Bei immateriellen Werken ist das nicht so: Wenn ich meinen Freunden einen Text oder ein Musikstück als digitale Datei sende, wird die Datei deswegen kein Bit kleiner. Darin zeigt sich der Unterschied zwischen materiellen und geistigen Werken im digitalen Zeitalter. Die Piraten haben sich offenbar nie über diesen Unterschied den Kopf zerbrochen. Sollten sie aber, wenn sie die Medienpolitik als Hauptthema auswählen.

Genau so dumm ist David Herzogs Papiersäckli-Vergleich. Denn im Papiersäckli kann ich schon ein zweites Gipfeli transportieren, aber ich muss auch das zweite Gipfeli bezahlen, genau so wie das erste. Darum ist eine Leerträgerabgabe bei Papiersäckli nicht nötig, bei CDs aber schon, denn eine CD kann man bekanntlich zuhause mit Werken, für die man nichts bezahlt hat, füllen und beliebig oft überspielen, zumindest eine dafür geeignete CD-Version. Selbstverständlich ist das Papiersäckli auch ein Medium für die Werbebotschaften des Bäckers, aber dies ist bekanntlich nicht der Hauptzweck des Säcklis. Wer so falsche Vergleiche veröffentlicht und damit einen so eklatanten Mangel an Medienkompetenz zeigt, hat geringe Chancen, in der Politik eine grosse Rolle zu spielen.

Kleine Zugabe gefällig? Patrik Hafner fragt via Twitter: «ist eine CD oder Festplatte nicht materiell?» Selbstverständlich ist sie genau das, Herr Hafner. Aber die CD ist kein geistiges Werk, sondern sie ist ein Speichermedium, das dazu dient, immaterielle Werke zu verbreiten und zu konsumieren. Dieser Pirat vermischt sämtliche Kategorien der Medientheorie.

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8 Antworten zu Piratenpartei: Keine Ahnung von Medientheorie

  1. Irgendwie befürchte ich, dass Sie die Pointe nicht ganz begriffen haben: Diese Piraten haben bewusst ein materielles Gut als Beispiel für die Anwendung von Urheberrechtsrestriktionen gewählt, weil das derzeitige Urheberrecht immaterielle Güter auf absurde Weise und mit realitätsfernen Massnahmen wie ein materielles Gut zu verkaufen versucht, womit sein enormes Potential von der Wirtschaft abgewürgt wird. Vielmehr wollte man aufzeigen wie lächerlich es wäre wenn Gipfeli (also materielle Güter) mit den gleichen Restriktionen verkauft würden wie immaterielle Güter dies zur Zeit werden, damit ihr Potential begrenzt werden kann; der Vergleich hinkt also ganz bewusst um die Unterschiede der beiden Güterformen zum Ausdruck zu bringen: Materielle Güter sind endlich und daher wird der Zugang zu ihnen über den Preis reguliert, immaterielle Güter sind nicht endlich und daher machen all diese regulatorischen Massnahmen kaum bis keinen Sinn ausser denjenigen, den immateriellen Gütern aufgrund wenig weitsichtiger wirtschaftlicher Interessen einen Wert zu verleihen, obwohl dieser als solcher gar nicht definiert werden kann.

  2. agossweiler schreibt:

    «Diese Piraten haben bewusst ein materielles Gut als Beispiel für die Anwendung von Urheberrechtsrestriktionen gewählt»: Beim Verkauf gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen materiellen und geistigen Gütern: Beide werden von Menschen produziert, die einen Lohn für ihre Arbeit wollen. Es ist unfair, nur den Produzenten von materiellen Gütern einen fairen Lohn geben zu wollen und den Urhebern von geistigen Werken irgendwelche schleierhaften «neuen Geschäftsmodelle» vorzuschlagen (Spenden, den Tanzbär machen, T-Shirts verkaufen, alles mit Werbung vollpflastern usw).

    «Materielle Güter sind endlich und daher wird der Zugang zu ihnen über den Preis reguliert, immaterielle Güter sind nicht endlich und daher machen all diese regulatorischen Massnahmen kaum bis keinen Sinn…»: Hier zeigt sich ein grundlegender Denkfehler. Es ist nicht zielführend, den Preis nur über das Kriterium «endlich / nicht endlich» zu definieren, denn auch die Urheber von geistigen Werken müssen einen fairen Lohn erhalten. Und es ist vor allem auch falsch, zu glauben, geistige Werke seien in unendlicher Zahl vorhanden. Zwar ist es heute möglich, viele geistige Werke beliebig oft zu reproduzieren. Doch führen diese neuen technischen Möglichkeiten offensichtlich dazu, dass die Urheber nicht mehr den fairen Lohn erhalten. Das wiederum führt dazu, dass es sich über kurz oder lang niemand mehr leisten kann, geistige Werke unter professionellen Bedingungen zu produzieren. Und dann gibt es auch nichts mehr zu reproduzieren.

    «…und daher machen all diese regulatorischen Massnahmen kaum bis keinen Sinn»: Das stimmt nicht. Der SInn der Massnahmen ist, sicherzustellen, dass die Urheber einen fairen Lohn erhalten.

  3. Dieses Ziel wird offensichtlich nicht erreicht.

  4. agossweiler schreibt:

    Weil die Schweizer Behörden keine oder zuwenig Massnahmen umsetzen.

  5. (projekt)sinnfrei schreibt:

    Oder die falschen? (so wie es die Piraten konstatieren).

  6. agossweiler schreibt:

    Die Piraten können zu Massnahmen gegen Piraterie sowenig Erhellendes beitragen wie die Zecken zur Prävention der Frühsommer-Meningoenzephalitis.

  7. Die Piraten streben auch keine Massnahmen „gegen Piraterie“ an, sondern sie suchen nach technisch umsetzbaren, dem Zeitgeist gerecht werdenden Massnahmen um Informationen und Wissen zugänglich zu machen.

    So wie ich das sehe ist Ihr Titel für diesen Blogpost gänzlich verfehlt: von mangelnder Medientheorie kann nicht die Rede sein, sondern von Ihrer Angst um Ihr Einkommen. Auch FabrikarbeiterInnen fürchten im Zuge der Automatisierung um Ihr Einkommen. Diese Ängste werden sehr ernst genommen, aus diesem Grund setzen sich die Piraten auch für einen Diskurs über alternative Verwertungs- und Wirtschaftssysteme ein.

    Ich bedauere natürlich, dass die Piraten noch keine „Patentlösung“ für Ihr Problem abgeben können; aber ich bin mir sicher, dass auch die Aufrechterhaltung des Status Quo auf lange Frist keine Lösung darstellt.

    • agossweiler schreibt:

      Es geht nicht nur um mein Einkommen: Ich bin überzeugt, dass die Medien wichtig sind für die politische Auseinandersetzung. Es ist kein Verdienst der Piraten, dass das Wissen zugänglich ist. Es war schon vorher zugänglich, nur nicht gratis für alle. Die Politik der Piraten führt jedoch dazu, dass die Produktion von seriösen Medien abgewürgt wird. Denn wenn die Urheber für die Vermittlung des Wissens nicht entschädigt werden, lohnt es sich über kurz oder lang nicht mehr, das Wissen aufzubereiten und zu vermitteln, und das hätte katastrophale Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Das ist der fatalste Denkfehler der Piraten. Der «Diskurs über alternative Verwertungssysteme» der Piraten hat bisher nichts hervorgebracht, das die Medienschaffenden befriedigen könnte.

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