Die Piraten verstehen

Die Piraten haben inzwischen gemerkt, dass sie mit dem Thema Urheberrecht alleine wenig Wähler beeindrucken können. Und sie jammern, niemand verstehe sie. Also schreiben sie Blogposts, in denen  Begriffe wie «Plattformneutralität» oder «Emanzipation durch Selbstbestimmung» auffallen. Doch was steht dahinter? Was haben die Piraten zu bieten? Die scharfsinnigste Analyse der Piratenpolitik, die ich bisher gelesen habe, kommt von Julia Seeliger. Die deutsche Journalistin beobachtet die Piraten seit Jahren. Ich greife einige besonders prägnante Punkte heraus aus ihrer Piratenkritik:

● Zum Anspruch der Piraten, als einzige Partei auf die Veränderung der Gesellschaft durch das Internet angemessen zu reagieren: «Ich fände es ja schön, wenn die Piraten in der Lage wären, den gravierenden Change durch das Internet zu erklären und politisch zu gestalten. Ich habe aber leider nicht den Eindruck, dass dies innerhalb der Partei kompetent gelingt.»

● Seeliger charakterisiert die Piratenpolitik als «Avantgarde-Populismus», einen «Populismus der vermeintlich Progressiven». Sie macht das fest am Beispiel einer Debatte um Grundrechte in Deutschland: «Außen Grundrechte, innen hohl… Grundrechtskompetenz wie eine Anonymous-Maske, die man sich mal schnell aufgesetzt hat. Und die man im Zweifel auch ganz schnell wieder absetzen kann.»

● In Deutschland (in der Schweiz weniger) versuchen sich die Piraten zu profilieren als Partei, die elektronische Mittel für die parteiinterne Diskussion einsetzt. Nichts Neues, sagt Julia Seeliger: «Auch die hinterletzten CDU-Kreisverbände nutzen Mailinglisten und Wikis seit Jahren.» Doch Seeliger weiss: «Digitale Infrastrukturen sind kein Garant für Sachlichkeit. Mailinglisten, Blogs, Twitter und anderes Schwarmgetier – damit lässt sich Meinung machen, in guten wie in schlechten Tagen.» Zudem widerspreche das «Prinzip, Politik vom Marktplatz auf die Mailingliste zu tragen, dem Transparenzgedanken prinzipiell.»

● Julia Seeliger sagt, die Piratenpartei würde sich «bislang nicht um ökonomische Fragen scheren.» Sie fragt die Piraten: «Wo sind eure Ideen für den Umbau der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft? Das Grundeinkommen ist da nicht ausreichend.» Und sie konstatiert: «Angesichts der sich gerade aktuell verschärfenden ökonomischen Krisen ist zu bezweifeln, ob sich mit einer solchen Ausrichtung langfristig Wählerstimmen binden lassen.»

● Julia Seeligers Fazit: «Nichts Neues also im Internet. Die Piratenpartei ist eine Partei wie alle anderen, nur etwas jünger und bewusst unprofessioneller.»

Über agossweiler

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5 Antworten zu Die Piraten verstehen

  1. David schreibt:

    Dafür, dass die Piraten also nichts Neues sind, beschäftigst du dich aber intensiv mit ihnen.

    Zu Julias Kitik: Ja, die Piraten sind unerfahren und unprofessionell. Wie sollte es auch anders sein? Soll sich nur politisch engagieren, wer die Weisheit mit Löffeln gefressen hat?

  2. agossweiler schreibt:

    David, ich beschäftige mich mit den Piraten, weil ich als Urheber nicht einverstanden bin mit der Kritik der Piraten am Urheberrecht. Wenn Julia Seeliger konstatiert, «nichts Neues im Internet», spricht sie ein anderes Thema an – der Satz bezieht sich auf den Anspruch der Piraten, anders zu politisieren als die herkömmlichen Parteien.

    Du fragst auch: «Soll sich nur politisch engagieren, wer die Weisheit mit Löffeln gefressen hat?» Ich versuche, eine ernsthafte Antwort zu formulieren: Ich denke schon, dass man, wenn man eine Partei gründet, versuchen sollte, Antworten auf die wichtigsten politischen Themen zu formulieren. Sonst macht das Programm einen lückenhaften Eindruck, und es wird auch viel schwieriger, Wähler anzusprechen, wenn diese nicht genau wissen, für welche Werte die neue Partei einsteht. Genau das passiert im Moment mit den Schweizer Piraten. Das gleiche Problem zeigt sich, wenn der Piratenpräsident via Twitter die Wahlen in Griechenland und Frankreich, die grosse politische Veränderungen bringen, flapsig mit «Uiuiui» kommentiert. Bref, es ensteht der Eindruck der Inkompetenz. So wird es für die Schweizer Piraten schwierig, an den Erfolg der deutschen Piraten anzuknüpfen.

    • Adrian Aulbach schreibt:

      «Ich denke schon, dass man, wenn man eine Partei gründet, versuchen sollte, Antworten auf die wichtigsten politischen Themen zu formulieren. Sonst macht das Programm einen lückenhaften Eindruck, und es wird auch viel schwieriger, Wähler anzusprechen, wenn diese nicht genau wissen, für welche Werte die neue Partei einsteht.»

      Ich finde es gut, dass sich die Piratenpartei auf ihre Kernthemen beschränkt. Piraten haben bezüglich Digitalpolitik eine ähnliche Meinung, bei anderen Themen möglicherweise nicht. Es wäre folglich unmöglich, alle Meinungen in einem Parteiprogramm zu vereinen, so dass eine Piraten-Partei nicht reichen würde. Es müsste dann wohl die Grün-Piraten, Sozialdemokratischen Piraten, die Liberal-Piraten und die Schweizer-Volks-Piraten (alias SVP) geben.

      Bei den Piraten ist eine Doppelmitgliedschaft zulässig, jeder Pirat kann sich so sein politisches Programm vervollständigen.
      Wähler wissen so zwar immer noch nicht, für welche Werte die Partei einsteht, aber sie wissen welche Personen für welche Werte einstehen. Und man wählt ja schliesslich Personen, nicht Parteien.

      • agossweiler schreibt:

        «Ich finde es gut, dass sich die Piratenpartei auf ihre Kernthemen beschränkt»: Ich finde das auch gut. So stehen die Chancen am besten, dass es der Piratenpartei gleich ergehen wird wie anderen Einthemenparteien (Autopartei, Hundepartei): Sie sorgen kurze Zeit für Aufsehen und verschwinden wieder.

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