The Spine Tingler

Es geht nichts über ein altes B-Movie mit niedlichen Gummiwürmchen, die dem armen Vincent Price an den Kragen wollen. «The Tingler» hiess der Film. Gedreht wurde er 1959 von William Castle, der eigentlich William Schloss hiess. Dem scheute keinen Aufwand, um sein Publikum zu unterhalten. In Kinos, die «The Tingler» zeigten, baute er Mechanismen aus alten Flugzeugen unter den Kinositzen ein, die zu vibrieren begannen, wenn die Gummiwürmchen auf der Leinwand erschienen. Zwei Jahre später richtete er in Kinofoyers «Cowards Corner» ein, auf deutsch: Schalter für Feiglinge. Dort konnten Kinobesucher ihr Geld zurück erhalten, wenn sie den Film zu horribel fanden. In einem anderen Film liess er Plastikskelette durch den Kinosaal schweben.

Der Film «Spine Tingler» porträtiert William Castle. Lobenswert. Mich interessiert an «Spine Tingler» vor allem die Filmmusik. Die wurde komponiert von Michael Cudahy alias The Millionaire, seinerzeit Gitarrist bei der Gruppe Combustible Edison. Oft wird die Musik von Combustible Edison als Easy-Listening-Revival beschrieben. Das greift zu kurz. Die drei LPs dieser Gruppe offenbarten ein beträchtliches Talent für urban-elegante, melancholisch-unterkühlte Instrumentalmusik. Unvergesslich ist ihr souveräner Auftritt im alten Palais X-Tra. Leider löste sich Combustible Edison vor der Jahrtausendwende auf. Sehr schade.

Sehr erfreut war ich, als ich erfuhr, dass The Millionaire immer noch musikalisch aktiv ist, jetzt eben als Filmmusik-Komponist. Die Musik für «Spine Tingler» knüpft bei Combustible Edison an. Zu den rasanten Gitarren- und Keyboardläufen, schummrigen Vibraphons, knatternden Bongos und dem für das Horror-Genre obligaten unheilverkündenden Theremin kommt bei einigen Stücken ein ausgewachsenes Orchester. Selten wurde für die Musik eines Dokumentarfilms ein so grosser Aufwand betrieben.

Die Musik von «Spine Tingler» ist nicht auf Tonträger erhältlich, sondern nur als Downolad beim Internetvertrieb CD Baby, einer Art Fair-Trade-Organisation für geniale Musiker ohne Plattenvertrag. Und so kam es, dass ich im Alter von 47 Jahren zum ersten Mal Musik aus dem Internet auf meinen Computer geladen habe. Spass macht das nicht. Aber immerhin kommt die Welt – oder wenigstens ich (gibt es da draussen sonst noch jemand, der solche Musik gut findet?) – so weiterhin in den Genuss der Soundkreationen des Millionaire.

Über agossweiler

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