Hildebrand-Kommentare für jeden Geschmack

Eigentlich wollte ich nichts zu Hildebrand bloggen. Das haben schon genügend andere Schreiberinnen und Schreiber getan. Ich finde es eindrücklich, mit welcher Kreativität viele Leute sich zur Geschichte äussern, die die Schweiz spaltet, (fast) wie im 19. Jahrhundert die Dreyfus-Affäre Frankreich gespaltet hat. Es gibt Hildebrand-Kommentare für jeden Geschmack:

1. Hildebrand für Medienforscher
Ein entspannter Kurt Imhof schreibt aus den Ferien einen brillant formulierten Kommentar für den Medienspiegel. Was dem Soziologen und Medienforscher auffällt:

«In der Blocher-Hildebrand-Affäre zeigt sich eine medialisierte Stimmungsdemokratie, in der derjenige, der so richtig zuschlägt, auch auf der anderen Seite das produziert, was ihn selbst treibt: Feindbilder.»

Gekonnt zeigt Kurt Imhof, wie Online-Redaktionen die Stimmung schürten. Dann wurden die kommentierenden Leserinnen und Leser aktiv, «deren erdrückende Mehrheit für oder gegen Hildebrand bzw. vor allem für oder gegen Blocher empört Stellung nehmen und deren Verfasser sich oft wechselseitig in den Orkus wünschen». Die Online-Redaktionen verstärkten die «Hate- oder Fan-Kultur», indem sie die Kommentare redaktionell auswerteten oder Umfragen zum Thema veranstalteten. Kurt Imhof wollte «auf eine Bockleiter steigen, um das pulverdampfgeschwängerte Schlachtfeld von oben zu betrachten.» Leider wollten nicht alle Medienspiegel-Leser seiner Einladung folgen, dem Pulverdampf zu entfliehen und Imhofs Bockleiter zu besteigen. Stattdessen verharrten die Kommentarschreiber, wie Imhof bedauert, «im Kampfmodus». Resigniert stellt der Medienforscher fest, dass er im Feriendomizil «vielleicht zu früh» auf die Leiter gestiegen ist.

2. Hildebrand für Juristen
Im Infosperber schlägt der Jurist und Beobachter-Redaktor Dominique Strebel vor:

«Der Fall Hildebrand ist weder ein Grund zum Jammern noch zum Jubeln. Er ist Anlass, Abläufe zu verstehen und aus Fehlern zu lernen.»

Strebel fordert, Anlaufstellen für Whistleblower einzurichten, die «umfassend und mit Biss ermitteln.» Zudem müsse der Staat «umfassende Transparenz schaffen». Wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, so Strebel, «wird es schwierig sein, mit politischen Kampagnen demokratisch gewählte, fähige Leute wegen untergeordneten Fehlern aus dem Amt zu drängen.»

Ob man damit einen zweiten Fall Hildebrand verhindern könnte, ist aber nicht sicher. Denn auch mit der grösstmöglichen Transparenz und mit den besten Whistleblower-Anlaufstellen wird es immer möglich sein, einem Amtsinhaber ein bisschen Dreck nachzuweisen, wenn man genug tief wühlt. Notfalls inszeniert man einen Sexskandal.

3. Hildebrand für konservative Blogger
Der konservative Blogger Ronnie Grob lieferte in der Medienwoche und im Blog des Zürcher Pressevereins eine Analyse der Geschehnisse, die so viele nachweisbare Fehler enthält, dass man fast jeden Abschnitt richtig stellen müsste. Dafür fehlt hier der Platz. Eine der absurdesten Passagen möchte ich hier aufgreifen: Ausgerechnet der oft ideologisch argumentierende Ronnie Grob konstatiert in den Reaktionen der Journalistinnen und Journalisten «Ideologie statt Solidarität»:

«Statt die Vorwürfe selbst zu prüfen und sich ein eigenes Bild der Lage zu machen, kümmerten sich viele Journalisten zu allererst um die Enthüller (Weltwoche, Blocher, Whistleblower) und fragten nach deren Motiven. (…) Müssten Journalisten nicht Leute, die möglicherweise relevante Vorwürfe erheben, zunächst mal unterstützen, unabhängig ihrer Herkunft?»

Das müssen sie sicher nicht. Denn die Weltwoche hat die Vorwürfe gegen Hildebrand nicht als erstes Medium publik gemacht. Es stimmt nicht, dass die anderen Medien sich «zu allererst» um die Enthüller gekümmert hätten, wie Ronnie Grob behauptet. Die Frage nach den Motiven der Enthüller drängt sich auf. Denn immerhin wurden mit illegalen Mitteln Dokumente beschafft und unter Mitwirkung eines mächtigen Unternehmers und Politikers an die Öffentlichkeit gebracht, der seit langem eine aggressive Kampagne gegen die Nationalbank fährt. Wenn Kollegen sich für diese Kampagne einspannen lassen, ist nicht Solidarität nötig, sondern dass man die Motive der Enthüller enthüllt.

Über agossweiler

Journalist
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2 Antworten zu Hildebrand-Kommentare für jeden Geschmack

  1. Ronnie Grob schreibt:

    Ausser jenem Fehler, den ich im Artikel transparent korrigiert habe (der „Tages-Anzeiger“ hat einen Tag vor der „Weltwoche“ vom Konto von Hildebrand geschrieben – im Umfang von einem Satz) – welche „nachweisbaren Fehler“ meinst Du? Und wie meinst Du „konservativer Blogger“? Wie genau kommst Du darauf, ich sei „konservativ“? Was genau will ich Deiner Meinung nach bewahren?

  2. agossweiler schreibt:

    Ronnie Grob > Was sonst noch alles nicht stimmt in Deinem Artikel:

    «Schliesslich ist es die Aufgabe von Journalisten, fragwürdige Aktionen darzulegen, gerade jene der Mächtigen und sehr Mächtigen»: Ja, und wenn man diese Aussage zum Nennwert nimmt, muss man eben die Aktionen der Weltwoche kritisch begutachten. Denn die Weltwoche ist ein Sprachrohr der sehr Mächtigen.

    «Die Weltwoche hat das getan»: Nein, eben nicht. Die Berichterstattung der Weltwoche war offensichtlich Teil einer politischen Kampagne gegen die Nationalbank.

    «Trotzdem stehen seitdem die Journalisten der Weltwoche unter Dauerbeschuss»: Nicht trotzdem, sondern genau deswegen.

    «Keine Frage, Details und Fehler, die rund um die Publikation geschehen sind, kann und soll man kritisieren»: Nein, nicht nur Details soll man kritisieren, sondern die Hintergründe und Motive der mit kriminellen Mitteln durchgeführten Operation.

    «Jedes Medium im politischen Bereich hätte diese Informationen veröffentlichen müssen»: Nochmals: die Weltwoche hat die Vorwürfe gegen Hildebrand nicht als erstes Medium veröffentlicht.

    «Die Kritik an der Weltwoche ist mitunter auch recht bigott. Zum Beispiel spielt die Einhaltung des Bankkundengeheimnis bei Journalisten, die dieses längst tot erklärt haben, plötzlich wieder eine Rolle»: Totaler Quatsch. Das Problem des Bankgeheimnisses ist, dass es für die Steuerhinterziehung genutzt wird. Die Journalisten, die «dieses» für «tot erklärt haben», forderten nie, man solle das Bankgeheimnis abschaffen, damit es möglich würde, missliebige Personen bequem zu denunzieren. Ergo ist die Kritik an der Weltwoche auch nicht «bigott».

    «Auch Vorwürfe über Abzocker, wie sie sonst schnell zur Hand sind, wenn es um reiche Banker geht, sind kaum welche gefallen»: Das wäre auch sinnlos, denn hinter der Kampagne gegen Hildebrand standen offensichtlich nicht selbstlose Motive. Vielmehr muss man sich fragen, wem die Absetzung Hildebrands nützt.

    «Hier drehen sich einige die Welt, wie sie ihnen gefällt»: Dummes Zeug.

    «Tatsächlich hatte Hildebrand von Anfang an keine andere Option»: Auch das stimmt nachweislich nicht.

    «Philipp Loser von der Tageswoche listet als Vergehen der Weltwoche auf, angegebene Quellen nicht, oder wenn, dann falsch oder unzureichend öffentlich gemacht zu haben. Doch das ist, ganz grundsätzlich, ihr gutes Recht. Es gilt der Quellenschutz»: Das hat nichts mit dem Quellenschutz zu tun. Denn offenbar hatte die Weltwoche gar keinen direkten Kontakt mit der Quelle. Also konnte sie gar niemanden schützen. Wer so argumentiert, hat den Sinn des Quellenschutzes nicht begriffen.

    Und so weiter… und jetzt noch zur zweiten Frage: In Deinem Blog und in Deinen Beiträgen für die Medienwoche bewegst Du Dich oft parallel zur Argumentation der SVP. Diese Partei wird in der Wikipedia berschrieben als «rechtspopulistisch, nationalkonservativ, teils wirtschaftsliberal, isolationistisch.» Oder, wiederum ein Zitat aus der Wikipedia: «Die Rechten traten für die Wahrung des Status quo in Bezug auf politische und ökonomische Verhältnisse ein und verwiesen auf „hergebrachte“ gesellschaftliche Normen, wodurch sie auch die Bezeichnung „konservativ“ („bewahrend“) erwarben.» Voilà.

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